«Wir wollen Reinach nicht kaputtsparen»

Gemeindepräsident Ferdinand Pulver (FDP) äussert sich zu den Vorwürfen, der Gemeinderat würde erneut bei den Vereinen sparen, erklärt, weshalb ab 2027 das Gartenbad wieder normal geöffnet sein soll, und erzählt, warum die Gemeinde überhaupt in dieser schwierigen Finanzlage steckt.

«Jetzt ist nicht mehr die Zeit für Schönwetterpolitik»: Gemeindepräsident Ferdinand Pulver zeigt auf, warum es die einschneidenden Sparmassnahmen braucht. Foto: Tobias Gfeller
«Jetzt ist nicht mehr die Zeit für Schönwetterpolitik»: Gemeindepräsident Ferdinand Pulver zeigt auf, warum es die einschneidenden Sparmassnahmen braucht. Foto: Tobias Gfeller

Vor vier Jahren wurden im Rahmen eines Sparprogramms die Beiträge der Gemeinde an die Vereine gekürzt. Jetzt soll schon die nächste Sparrunde auf die Vereine zurollen, heisst es bei der Interessensgemeinschaft Ortsvereine Reinach. Warum schon wieder die Vereine?

Der Vorwurf oder die Information, dass im Rahmen der Sofortmassnahmen für die Jahre 2025 und 2026 erneut die Vereine drankommen sollen, ist schlichtweg falsch. Wir haben bei den Sofortmassnahmen die Vereine bewusst ausgelassen, weil sie eben bereits vor vier Jahren Kürzungen verkraften mussten. Es ärgert mich, dass diese falschen Behauptungen in den Raum geworfen wurden, ohne dass vorher mit uns darüber gesprochen wurde.

Langfristig ist aber nicht ausgeschlossen, dass im Rahmen der grossen Finanzstrategie erneut bei den Sport- und Kulturvereinen gekürzt wird?

Für die übergeordnete Finanzstrategie, die ab 2027 wirken soll, stehen die Eckpunkte noch nicht fest. Klar ist aber, dass wir alle Vereine und Organisatoren von Veranstaltungen, die von der Gemeinde finanziell unterstützt werden, einladen. Wir wollen die nötigen Massnahmen gemeinsam mit ihnen aufgleisen. Es wird ein Miteinander geben, kein Gegeneinander. Das heisst aber auch, dass wir Bereitschaft zur Mitwirkung erwarten, indem Vereine und Veranstalter aus Eigeninitiative aufzeigen, wo sie bei sich noch Einsparpotenzial sehen. Das bedeutet nicht, dass es bei allen Sparpotenzial geben muss. Es muss sich einfach bei allen Beteiligten die Einsicht durchsetzen, dass wir die Finanzen Reinachs nur gemeinsam ins Lot bringen.

Vereine und Veranstalter sollen selbst aufzeigen, wo sie finanziell noch Luft haben?

Genau. Man muss erkennen, dass die Gemeinde trotz der Sparrunde im Jahr 2021 nach wie vor grosszügig mit Vereinen, Veranstaltern und anderen Institutionen ist. Als Beispiel kann ich die kostenlose Nutzung der Turnhallen, Räumlichkeiten und Plätze nennen. Die Gemeinde leistete sich in den vergangenen Jahren sehr viel in diesen Bereichen, weil es für das Leben in Reinach wichtig ist und es sich die Gemeinde bis vor wenigen Jahren noch leisten konnte. Dieses viele Geld haben wir aber nicht mehr. Wenn es heisst, die Gemeinde lasse Vereine und Veranstalter ausbluten, ist dies ein völlig verzerrtes Bild. Man muss auch erkennen, dass Veranstaltungen wie die Fasnacht, das Jazz Weekend oder Kunst in Reinach massgebend durch die Gemeinde finanziert werden. Diese wichtigen Anlässe sind bei weitem nicht selbsttragend.

Besonders die verkürzten Öffnungszeiten beim Gartenbad in diesem Jahr und die angedrohte Streichung des Ferienpasses 2026 sorgten über Reinach hinaus für Kritik. Können Sie diese nachvollziehen?

Ich habe – der ganze Gemeinderat hat – grosses Verständnis dafür, dass dies die Menschen ärgert. Gerade die Massnahmen beim Gartenbad kamen relativ kurzfristig vor Saisonstart. Das war aber nicht zu verhindern, weil wir erst im Mai mit der Erarbeitung der Sofortmassnahmen fertig waren.

Die Erarbeitung zwischen Februar und Mai war ein intensiver und schwieriger Prozess zwischen Gemeinderat und Verwaltung. Jeder Tag, an dem das Gartenbad geöffnet hat, kostet die Gemeinde 5000 Franken. Nur absolute Spitzentage bringen einen kleinen Gewinn. Durch die spätere Öffnung und frühere Schliessung sparen wir Personal- und Energiekosten. Ich sagte schon 2024, dass die nötigen Sparmassnahmen schmerzhaft sein würden. Ich verstehe, dass diese Öffnungszeiten auf Unmut stossen. Eine Alternative wäre gewesen, das Bad während zwei Jahren durchgehend zu schliessen. Aber das wollten wir nicht.

Und beim Ferienpass, den die Gemeinde für das kommende Jahr nicht mitfinanzieren wollte?

Da bin ich guter Dinge, dass wir für 2026 doch noch eine Lösung finden.

Mit den Sofortmassnahmen spart die Gemeinde im Jahr 2025 1,8 Millionen Franken, im kommenden Jahr 2,5 Millionen Franken. Das sind Einschnitte, die im Einzelfall aus Sicht vieler wenig bringen, aber die Bevölkerung hart treffen. Gefordert wird, dass auch die Politik und die Verwaltung Einsparungen vornehmen.

Die beschlossenen Sofortmassnahmen für 2025 und 2026 sind zwingend, damit wir Zeit gewinnen, das Eigenkapital nicht weiter schmilzt und damit wir in der Zeit, die es braucht, die übergeordnete Finanzstrategie erarbeiten können. Nachdem Anfang Februar 2025 klar geworden war, dass der Jahresabschluss 2024 sehr schlecht ausfallen würde, mussten wir schnell handeln. Mit der übergeordneten Finanzstrategie sollen solch kleinere Massnahmen wie beim Gartenbad nicht mehr nötig sein. Ziel ist, das Gartenbad ab 2027 wieder regulär geöffnet zu haben.

Wo spart denn die Gemeinde selbst?

Als Beispiel: Aktuell muss jede Ausgabe über den Tisch der Verwaltungsleitung. Die Kostenkontrolle wurde nochmals intensiviert. Der Vorwurf, die Gemeinde lebe in Saus und Braus, ist an den Haaren herbeigezogen. Wir sparen Stellen ein, indem wir Abgänge nicht ersetzten. Entlassungen gibt es keine. Bei der Schulsozialarbeit zum Beispiel haben wir die fest eingeplante zweite Stelle wieder sistiert, um diese Kosten einzusparen. Das sind harte Einschnitte, die wehtun. Beim Werkhof sparen wir, indem wir Festmobiliar nur noch liefern und nicht mehr aufstellen und es nur noch eine ganzjährige Bepflanzung der Rabatten gibt. Der Werkhof wird langfristig weniger Mitarbeitende haben. Ich betone aber: Wir wollen Reinach nicht kaputtsparen.

Fünf statt sieben Gemeinderäte würden reichen?

Finanziell ist dies zu kurz gedacht: Die Entschädigung eines Gemeinderats beträgt 39000 Franken im Jahr. Zwei Sitze weniger wären 78000 Franken. Die Arbeit der zwei scheidenden Mitglieder müsste auf die übrigen fünf Gemeinderäte verteilt werden. Deren Arbeitsaufwand würde stark steigen. Damit wohl auch deren Entschädigung. Vor allem aber würde die Arbeitslast bei der Verwaltung steigen. Und ein Verwaltungsmitarbeiter verdient deutlich mehr als ein gewählter Gemeinderat. Ich halte fest: Alle Gemeinderäte sind jetzt schon ausgelastet!

Warum braucht Reinach als einzige Gemeinde im Kanton ein eigenes Bauinspektorat?

Wegen unserer Quartierplanverfahren ist ein eigenes Bauinspektorat für Reinach finanziell interessant. Zudem ist ein eigenes Inspektorat flexibler und eher in der Lage, ortsgerechte Lösungen zu finden, als der Kanton.

Die Gemeinde realisierte Quartierplan um Quartierplan, um dann über die hohen Bildungsausgaben zu klagen. Das ist doch ein Widerspruch?

Kinder in unserer Primarschule müssen uns das Geld wert sein. Gleichzeitig verjüngt sich die Gemeinde und die Eltern zahlen Steuern – und dies langfristig. Wir planen ja auch nicht nur Wohnraum für Familien, sondern auch für Paare und Singles, was Menschen in allen Alterssegmenten anzieht. Fest steht: Die Bevölkerungsstruktur in Reinach muss jünger werden.

Droht der Gemeinde ein Investitionsstau?

Nein. Wir wollen weiter investieren, auch wenn wir vieles zurückgestellt oder gestoppt haben. Gerade im Bereich Alter investieren wir, damit Senioren länger zu Hause wohnen können. Durch jeden verzögerten Eintritt ins Alters- und Pflegeheim spart die Gemeinde viel Geld. Im Birstal hat Reinach mit Abstand am meisten Einwohner, die über 65 Jahre alt sind. Das spricht zwar für die Lebensqualität hier, macht uns aber finanziell sehr zu schaffen.

Das strukturelle Defizit der Gemeinde bewegt sich trotz Sparrunde im Jahr 2021 auf gegen 10 Millionen Franken. Damals wurde auch der Steuerfuss erhöht. Eine zweite Steuererhöhung wurde abgesagt. Rückblickend wohl ein Fehler. Mit einem Steuerfuss von 54,5 Prozent steht Reinach aktuell immer noch gut da. Allschwil als vergleichbare Gemeinde hat 58 Prozent, Muttenz 56 Prozent. Wann erhöhen Sie die Steuern, Herr Pulver?

So wie es aussieht, wird es nicht ohne Steuererhöhung gehen. Ein Steuerprozent bringt eine Million Franken. Bedenken, dass gute Steuerzahler wegziehen werden, habe ich nicht. Reinach hat im Gegensatz zu Arlesheim oder Pfeffingen nur wenige Top-Steuerzahler. Reinach ist eine klassische Mittelstandsgemeinde. Die finanzielle Situation ist ernst. Die Verschuldung mit 120 Millionen Franken – Tendenz steigend – ist inakzeptabel. Die Ausgaben wachsen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Die Kosten in den Bereichen Gesundheit, Soziales und Bildung sind in den letzten zehn Jahren um 19 Millionen Franken gestiegen, die Steuereinnahmen lediglich um 10 Millionen. Ich möchte auch den Finanzausgleich erwähnen. Der kostet uns pro Jahr acht Steuerprozente. Ich stecke grosse Hoffnungen in die Gemeindeinitiative, damit die Gebergemeinden entlastet werden.

… und die Kosten steigen munter weiter …

Exakt. Ich bedaure es auch, aber jetzt ist nicht mehr die Zeit für Schönwetterpolitik. Es geht um die Zukunft Reinachs. So können wir nicht mehr weitermachen.

Wenn ich Ihnen zuhöre, werde ich das Gefühl nicht los, dass Sie dies schon viel früher in dieser Vehemenz der Bevölkerung hätten kommunizieren sollen. Zum Beispiel in diesem Frühjahr.

Den Vorwurf lasse ich gelten. Wir hätten womöglich offensiver kommunizieren sollen, als wir im Februar 2025 die Zahlen für das Jahr 2024 erhielten. Wir befanden uns in einer aussergewöhnlichen Lage und wollten schnell reagieren, um Zeit zu gewinnen. Aber ja, wir hätten in dieser Phase besser informieren können, wie ernst die Lage wirklich ist. An dieser Stelle möchte ich noch ein Gesprächsangebot machen. Wer sachliche Kritik anbringen möchte oder Fragen hat, kann sich persönlich bei mir melden. Meine E‑Mail-Adresse ist bekannt. Solche Gespräche habe ich bereits einige geführt. Ich bin offen für weitere. Die bisher geführten Gespräche führten mehrheitlich zu einem besseren Verständnis der Situation.

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