«Mir danze mit dr Chäppelihäx»

Ohrenbetäubender Lärm herrschte am Cherus-Samstag auf dem Ernst Feigenwinter-Platz. Chäppelihäx und Teufel präsentierten sich den rund 500 Anwesenden mit choreografierten Tänzen. Danach schritt man zum Funggefüür.

Archaischer als die Fasnacht: Chäppelihäx und Teufel auf dem Weg zum Funggefüür-Platz beim Leywald. Foto: Thomas Brunnschweiler
Archaischer als die Fasnacht: Chäppelihäx und Teufel auf dem Weg zum Funggefüür-Platz beim Leywald. Foto: Thomas Brunnschweiler

Thomas Brunnschweiler

Der Coup war von langer Hand geplant. Schon lange schwebte Zunftrat Alex Meier eine Wiederbelebung des keltisch-alemannischen Feuerbrauchs von Funggefüür und Füürredlischiesse vor. Im Dezember 2012 entstand der Trägerverein für die Wiederbelebung des alten Brauchs. Beteiligt waren André Sprecher, Präsident der Zunft zu Rebmessern, Urs Witta vom Fasnachtskomitee, Rolf Wenger von der Buurezuft, Barbara Wyttenbach von der Franz Lucas Landerer Zunft und von Kultur in Reinach Heiner Leuthardt. Letzterer fuhr gemeinsam mit André Sprecher und Alex Meier nach Ravensburg zu Jogi Weiss, dem bekannten Maskenschnitzer, der die Masken der Chäppelihäx und des Teufels in Angriff nahm.

Erfolgreicher Einstieg

Der Erfolg des Trägervereins, dessen Mitglieder sich aus Zünften und Kultur in Reinach rekrutieren, ist beachtlich. Rund 500 Menschen folgten dem Aufruf und erlebten auf dem Ernst Feigenwinterplatz die Geburt der Chäppelihäx, die unter Trommelwirbel, Treichel- und Rääreklängen auf der Rettungskanzel der Feuerwehr einschwebte. Zuvor hatte Bürgergemeindepräsident Peter Meier auch die anwesenden Hexen aus dem Schwäbischen begrüsst, die den anschliessenden Fackelzug ins Gebiet Ley anführten. Natürlich durfte auch Jogi Weiss, der Vater der Masken, nicht fehlen. Gemeinsam wurde das von Hansjörg Hänggi komponierte Chäppelihäx-Lied gesungen, erst zaghaft, aber doch mit wachsender Begeisterung. «Ains – zwäi – drey – vier – fümf und säggs, mir danze mit dr Chäppelihäx», heisst es da im Refrain.

Insignien der Fasnacht und auch Guggemusig hatten am Samstag in Reinach nichts zu suchen, denn der vorchristliche Feuerbrauch ist älter als die Fasnacht. Er soll den Winter vertreiben und die Kräfte der Fruchtbarkeit auf die Felder holen. Mit einer Mischung von Ernst, Lockerheit und Erwartung schritt die Menge, eingetaucht ins tanzende Licht der Fackeln, durch die südwestlichen Quartiere zum Feuerplatz beim Leywald. Dort entzündete der Teufel das Funggefüür. Eine kleine Festwirtschaft, die dem Ansturm der Leute kaum gewachsen war, sorgte für Labung und Handwärme. Dann wurden Füürredli in den Nachthimmel geschickt, wobei sich einige «Schützen» als Naturtalente erwiesen.

Kritische Fragen

Den Reinachern ist ihre Chäppelihäx zu gönnen, die offensichtlich positiven Nachhall erzeugt hat. Aber wird im Umgang mit der hauseigenen Geschichte in unterschiedlichen Interessengruppen nicht mit zweierlei Mass gemessen? Reinach ist Dorf und Stadt zugleich, das ist sein Dilemma. Sein Geschichtsbewusstsein bewegt sich zwischen Fiktion und Realität, zwischen dem Bedürfnis nach Wiederverzauberung der Welt und historischer Selbstverleugnung. Das neue Brauchtumspaket ist einerseits die Wiederbelebung dörflicher Bräuche, andererseits urbaner Retro-Event, zumal was die Chäppelihäx betrifft.

Als solcher verdankt er sich weniger der Erinnerung an den brutalen Umgang mit wissenden Frauen, die als Hexen angeprangert wurden, als vielmehr einer jüngeren Lokaltradition, die mit dem beim Chäppeli einst in Fels gemeisselten Hexenkopf zu tun hat.

Der amalgamierte Brauch ist jedoch legitim, da er der lokalen Identität zuträglich ist. Nur ist es für einen Aussenstehenden befremdlich, dass es in Reinach möglich war, ein handfesteres Symbol historischer gesellschaftlicher Wirklichkeit, nämlich das Taunerhaus, abzubrechen, ein Gebäude, das ebenso für die Identität der Ortschaft stehen könnte wie das reanimierte Brauchtum.

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