Letzte Ruhe über den Wolken

Die anhaltende Tendenz zur Entkirchlichung der Bestattungsrituale hat längst einen neuen Markt für neue Bestattungsformen geschaffen. Ein Reinacher Jungunternehmen bietet sie neuerdings gar im Himmel an.

Beobachten einen Wandel der Bestattungskultur: Simon Gravschitz (links) und Sacha Belfiglio, mit Fallschirm und Styropor-Urne.  az-medien
Beobachten einen Wandel der Bestattungskultur: Simon Gravschitz (links) und Sacha Belfiglio, mit Fallschirm und Styropor-Urne. az-medien

Lukas Hausendorf

Bestattungsformen und die damit verbundenen Rituale haben sich abhängig von ökonomischen, sozialen und kulturellen Bedingungen stets verändert. Die bedeutendste Zäsur in der jüngeren Geschichte des Bestattungswesens vollzog sich Ende des 19. Jahrhunderts, als selbst die Leichenverbrennung durch Krematorien industrialisiert wurde. Die moderne Feuerbestattung legte gewissermassen die Basis für vielfältige neue Inszenierungsformen des Grabrituals jenseits des Friedhofs, die mit zunehmendem Bedeutungsverlust der christlichen Traditionen immer populärer wurden und werden. Friedwälder, Wasserbestattungen und seit Neustem auch die letzte Ruhe im sprichwörtlichen Himmel.

Das bietet seit vergangenem Oktober die Reinacher Firma Swiss Space Hub Agency an, die im Trend zur Beisetzung in der Natur eine Marktlücke entdeckte und die Asche der Verstorbenen in 35 Kilometern Höhe in der Stratosphäre verstreut. «In erster Linie sind wir keine Bestatter sondern ein Transportunternehmen», sagt Geschäftsführer Simon Gravschitz. Und so funktioniert die Himmelsbestattung: Die Asche wird in einer speziellen Kapsel mit einem Wetterballon steigen gelassen. In der Stratosphäre öffnet sich der Aschebehälter aufgrund des tiefen Aussendrucks dann automatisch. Je nach Budget kann man den Ballonstart zeremoniell begleiten und die letzte Reise des Verstorbenen auf DVD aufzeichnen lassen, was zum stolzen Preis von 10 800 Franken möglich ist. Es geht aber auch günstig: Eine anonyme Himmelsbestattung ist bereits für 1450 Franken erhältlich.

Liberales Bestattungswesen

Das freisetzen der Asche über den Wolken ist ökologisch und gesundheitlich unproblematisch. Die Kapsel mit den Aufnahmegeräten wird zudem wieder eingesammelt. Wofür in der Regel grössere Distanzen zurückgelegt werden müssen. «Wir sind schon zur tschechischen Grenze gefahren», erzählt Gravschitz. Eine Ortung über GPS ist darum unerlässlich. Auch gesetzlich ist die Himmelsbestattung hierzulande gänzlich unbedenklich.

Die Schweiz kennt keinen Friedhofszwang. Was die Hinterbliebenen mit der Asche machen, ist ihnen, bis auf die Einhaltung kantonaler Auflagen beim Verstreuen, eigentlich völlig selbst überlassen – ausser das Bestattungsritual wäre bereits in der Willenserklärung geregelt. In Deutschland oder Italien ist das nicht so einfach, dort hat der Friedhofszwang nach wie vor Bestand. «Aus Deutschland besteht denn auch grosses Interesse an unserem Angebot», erzählt Gravschitz, der – wenig verwunderlich – schon mit mehreren Bestattungsunternehmen aus unserem nördlichen Nachbarland im Kontakt ist.

Kritik vom Klerus

Die modernen Bestattungszeremonien stossen nicht überall auf Zustimmung. Bestattungen abseits des Friedhofs widersprechen klar der Lehre der christlich-jüdischen Tradition. Kein Wunder tun sich sowohl Vertreter der römisch-katholischen als auch der reformierten Kirche schwer mit der Himmelsbestattung.

«Wir stützen das Bedürfnis der Menschen, die einen Gedenkort haben wollen, was traditionellerweise der Friedhof ist», erklärt der Pfarrer der reformierten Kirche Reinach, Frank Lorenz. Allerdings kann er sich seelsorgerische Ausnahmen vorstellen; etwa, wenn ein Rheinschiffer im Rhein bestattet werde möchte. Aber grundsätzlich gilt: Was von der Erde gekommen ist, soll zu Erde werden. Zudem sei die Erdbestattung viel demokratischer, die könne sich jeder leisten, kritisiert er die pekuniäre Hürde der Himmelsbestattung. «Und ob man in der Stratosphäre dem Himmel wirklich näher ist, mag ich zu bezweifeln.»

Alex Wyss, der Diakon der römisch-katholischen Kirche Reinach, sieht darin eine verzweifeltes «Näher mein Gott zu dir», das erst noch mit fragwürdigem Verpulvern von Energie und Geld verbunden ist.

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