Ein wacher Zeitzeuge

Der pensionierte Lehrer und Schulleiter Rudolf Waldmann hat einen höchst lesenswerten Lyrikband geschrieben. Die Gedichte zeichnen sich durch breite Thematik und sorgfältige Sprache aus.

Reinacher Lyriker: Rudolf Waldmann vor einer Reproduktion von Giovanni Segantinis «An der Tränke» von 1888, einem der Lieblingsbilder seiner Frau. Foto: Thomas Brunnschweiler
Reinacher Lyriker: Rudolf Waldmann vor einer Reproduktion von Giovanni Segantinis «An der Tränke» von 1888, einem der Lieblingsbilder seiner Frau. Foto: Thomas Brunnschweiler

Thomas Brunnschweiler

Das Lyrikbändchen von Rudolf Waldmann ist zwar nicht umfangreich, aber sehr dicht. Der Autor, der in «Zeitzeuge» Gedichte aus den letzten beiden Jahren versammelt und auf frühere «Erzeugnisse» verzichtet hat, zeigt sich buchstäblich auf der Höhe der Zeit. Nicht nur er selbst ist Zeitzeuge, auch seine Sprache ist es. Sie erinnert an die böse Vergangenheit, kündet aber auch von einer neuen Verrohung, die schon im Gange ist. Sie erzählt nicht nur von den brutalen Märchen, die einst der Vater erzählte, sie deckt auf: «und alle Märchen werden wahr». An die Stelle von Gottes erloschenem Auge ist die totale Überwachung getreten. «Auch wenn du schreibst liest einer mit», heisst es da.

Auch wenn Waldmann in seinem Wohnzimmer mit der Bücherwand vielleicht wie ein harmloser Bildungsbürger aussieht – er ist es keineswegs. Er mischt sich mit seinen Gedichten nämlich in den öffentlichen Diskurs ein. Seine subtilen, lakonischen Wortgebilde sind frei von Reimen und schöngeistiger Weltflucht. Waldmann liebt Zitate aus Redewendungen, Kinderliedern und Sprichwörtern. Intertextualität wird das im Fachjargon genannt. Neben Naturmotiven taucht die Tagespolitik auf: die Flüchtlingsfrage, die Neonazis in Deutschland, der Klimawandel. Daneben dürfen Reminiszenzen an das Kulturgut Europas nicht fehlen: Meister Adebar etwa oder Kerberus. Wortspielartiges und dadaistische Versuche runden die breite Palette von Waldmanns Sprachkunst ab.

Die Schweiz als Wahlheimat

Rudolf Waldmann wurde 1947 in Waldshut geboren, studierte Philosophie, Germanistik und Geschichte an der Pädagogischen Hochschule Lörrach und später in Freiburg i. B. und Basel. 1971 übersiedelte er nach Reinach, denn der Kanton Basel-Landschaft hatte damals einen riesigen Lehrermangel und suchte per Inserat in Deutschland und Österreich pädagogisches Personal. Waldmann unterrichtete an der Sekundarschule Deutsch, Geschichte, Geografie und Zeichnen, zuerst im Egerten-Schulhaus, ab 1974 im Schulhaus Lochacker. Dort war er 13 Jahre lang Schulleiter. Die Lyrik, die ihn schon früh faszinierte, vermittelte er auch seinen Schülern. Der Lyriker Paul Celan bedeutet ihm seit je am meisten. «Die Lyrik hat zwar nicht den Unterhaltungswert anderer Gattungen und der Zugang zu ihr ist eher schwierig», sagt Rudolf Waldmann, «trotzdem gibt es bei den Jungen eine Lyrik-Renaissance, etwa bei den Rappern oder im Poetry-Slam.»

Der seit 2012 pensionierte Lehrer, der 1981 das Schweizer Bürgerrecht erworben hat, verstand sich auch im Geschichtsunterricht immer als «grosser Erzähler». Derzeit arbeitet er an seinem ersten Roman, dessen Hauptakteur Maler ist und der episodische «Blitzlichter aus einem Leben» präsentieren soll. Man darf gespannt sein, was der kulturkritische Autor in seinem Roman «zwischen Ernsthaftigkeit und Humor» den Lesern bieten wird.

Rudolf Waldmann: Zeitzeuge. Gedichte, Edition Anthrazit, Deutscher Lyrik Verlag, Aachen 2015, 46 S., Fr. 9.50.

Rudolf Waldmann: 7 Gedichte in der Anthologie «Lyrik und Prosa unserer Zeit», Bd. 21, Lyrik Verlag, Aachen 2015.

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