Tanzend die Welt verarbeiten

Am 28. Juni gewann der Reinacher Muhammed Kaltuk mit seiner Choreografie den ersten Preis beim 24. Internationalen Solo-Tanz-Theater-Festival Stuttgart 2020.

Gewann mit seiner Choreografie «FivE»: Muhammed Kaltuk zog die Jury in die
Gewann mit seiner Choreografie «FivE»: Muhammed Kaltuk zog die Jury in die

Offen, freundlich, sympathisch – der erste Eindruck von Muhammed Kaltuk ist vielversprechend, als er zum Gespräch in Reinach erscheint. Kaltuk ist kein unbeschriebenes Blatt: Der 30-Jährige mit türkischen Wurzeln ist Mitgründer und Mitleiter der Tanzschule SE Studio im Basler Dreispitz sowie Mitglied der Tanzgruppe «Special Elements», mit der er schon diverse Preise gewann. Der Sieg beim Solo-Tanz-Theater in Stuttgart ist sein erster eigener und er freut sich so, dass er kaum Worte dafür findet: «Das ist unglaublich für mich! Es haben sich ja so viele beworben und dort haben schon die Besten der heutigen Szene mitgemacht. Dass ich jetzt dazu gehöre – Wahnsinn!», freut sich Kaltuk. Gewonnen hat er mit seiner zehnminütigen Choreografie «FivE», welche die fünf Trauerphasen Leugnung, Zorn, Verhandlung, Depression, Akzeptanz nach der US-amerikanischen Psychiaterin Elisabeth Kübler-Ross verarbeitet. Im Urteil heisst es: «Die Jury fühlte sich unmittelbar hineingezogen in die verschiedenen Stadien von Verlust und Schmerz, die hier grandios ineinandergreifen. In einzigartiger Art und Weise entfaltet sich eine enorme Intensität durch sensible, aber auch expressive Gesten, zwischen denen der Tänzer ständig hin und her geworfen wird.»


Spontane Corona-Aktion
Ursprünglich war das Festival für März geplant, aber nachdem der Wettbewerb Corona-bedingt abgebrochen werden musste, fand er nun vom 25. bis 28. Juni erstmals als reine Online-Veranstaltung statt. Marcelo Santos, künstlerischer Leiter und Gründer des Festivals sagt: «Unsere Idee war zunächst, das Festival dieses Jahr vom März in den November zu verlegen, doch wir haben gemerkt, dass wir uns da selbst mit den Anmeldungen für nächstes Jahr in die Quere kommen.» Kurzerhand kreierten Santos und sein Team eine Corona-Edition. Diese beinhaltete, dass auf Live-Performances verzichtet wurde und alles digital und online erfolgte. Von 270 Bewerberinnen und Bewerbern aus der ganzen Welt kamen 18 ins Finale, das dann Kaltuk gewann. Performt wurde «FivE» für das Festival von Egon Gerber, obwohl es Kaltuk ursprünglich mit Tanzkollege Tanaka Lionel Roki einstudiert hatte. Doch Roki hatte andere Verpflichtungen, was Gerber die Chance gab, Teil der Sieger-Choreografie zu sein. Neben 3500 Euro Preisgeld erhielt Kaltuk den Residenzpreis Theater Plauen-Zwickau.


Von Reinach nach Zürich
«Es ist etwas ganz Besonderes, eine Choreografie fürs Theater zu machen», strahlt Kaltuk. Am Theater sei eine besondere Tiefe möglich, eine andere Form des Ausdrucks und es gäbe mehr Möglichkeiten für den künstlerischen Prozess. Dass der Tanzlehrer diese Qualitäten sucht, wird im Gespräch immer wieder deutlich. Da sind eine Sensibilität und eine Weichheit, die besondere Dimensionen erahnen lassen. In einer Beschreibung seiner Person war einmal zu lesen: «Als Tänzer und Choreograf in der Schweiz gefeiert, wird er in seiner Familie nicht ganz verstanden.» Inzwischen, lacht Kaltuk, habe sich das völlig verändert: «Heute stehen sie voll und ganz hinter meiner Arbeit.»

Als 15-Jähriger kam er in der Jugi Reinach zum ersten Mal mit dem Tanzen in Berührung, danach startete er voll durch. Er studierte in Zürich an der «Höheren Fachschule für Zeitgenössischen und Urbanen Bühnentanz» und gründete 2017 für Projekte die Company MEK. «Ich liebe Themen, die persönlich sind und die alle beschäftigen», so der Preisträger. «Dazu gehören auch kritische und/oder politische, wie bei dem Stück «drzwüsche», das sich mit dem Thema der Dualität einer Identität beschäftigt.» In Kaltuks Aussagen und Ansichten drückt sich eine künstlerische Nachhaltigkeit aus, die hoffen lässt, dass noch viel von diesem jungen Künstler zu hören sein wird.

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