Weniger Stoff – mehr Selbstkompetenz
Wie sollen unsere Schulen mit dem rasanten gesellschaftlichen Wandel umgehen? Dieser Frage ging der Autor und Pädagoge Andreas Müller in einem Referat in Aesch nach.

Oliver Sterchi
Die Erde dreht sich immer schneller. Jedenfalls kommt einem das so vor. Das Tempo, in dem sich unsere Welt verändert, nimmt rasant zu. Sei es in politischer, wirtschaftlicher oder technologischer Hinsicht: Der gesellschaftliche Wandel der letzten Jahrzehnte ist beeindruckend, zuweilen auch beängstigend. Die Globalisierung sorgt zusammen mit den modernen Kommunikationstechnologien dafür, dass die Welt zusammenwächst.
Gleichzeitig nimmt auch die Daten- und Informationsflut zu, mit der wir täglich konfrontiert sind und die es irgendwie zu bewältigen gilt. Es ist nicht zuletzt die Aufgabe der Schule, die Heranwachsenden auf die Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Geht es jedoch nach Andreas Müller, haben unsere Bildungsinstitutionen diesen Wandel verpasst.
Der Autor und Pädagoge hielt am Mittwoch vergangender Woche in der Löhrenackerhalle in Aesch einen Vortrag über alternative Unterrichtsformen. Eingeladen wurde er von den Schulleitungen im Birseck, die damit laut dem Reinacher Schulleiter Michael à Wengen «die Diskussion um die Schule der Zukunft» führen wollen. Die zum Bersten volle Halle zeugte von einem grossen Interesse seitens der Lehrerschaft und den Eltern.
«Weniger ist mehr»
Die Strukturen der heutigen Schule stammten im Grundsatz aus dem vorletzten Jahrhundert, referierte Müller. Somit sei offensichtlich, dass sie die Schüler kaum auf die Herausforderungen des 21. Jahrhunderts vorbereiten könne. Der Leiter einer Privatschule im Berner Oberland wollte den Anwesenden Argumente, Elemente und Instrumente für eine neue Lernkultur näher- bringen. Müller plädierte dafür, die vorhandene Zeit in den Schulen besser zu nützen. Immerhin verbringt ein Schüler während neun obligatorischer Jahre bis zu 15 000 Stunden in der Schule.
Dabei werden ihm 50 000 Seiten Papier vorgesetzt. «Das geforderte Schulwissen hat in den letzten Jahrzehnten exponentiell massiv zugenommen», sagte Müller und präsentierte ein paar eindrückliche Zahlen und Kurven. Heute würde man viel zu viel Stoff oberflächlich behandeln, es fehle jedoch an Substanz, schloss der erfahrene Pädagoge seine Analyse zur gegenwärtigen Bildungssituation. Gemäss dem Motto «Weniger ist mehr» forderte Müller eine Reduktion des Stoffes zugunsten einer vertieften Beschäftigung mit dem Gelernten. Die Schüler müssten zudem vermehrt lernen, ein Problem selbstständig zu lösen. Reines Auswendiglernen sei nicht zielführend, so der studierte Psychologe.
Lehrer wünschen Veränderungen
In der anschliessenden Diskussionsrunde ging es hauptsächlich um die praktische Umsetzbarkeit des alternativen Unterrichtskonzepts. Müller räumte ein, dass sich das Schulsystem sehr langsam entwickle und Veränderungen nur in einer längerfristigen Perspektive angestrebt werden können. Fragen nach dem Lehrplan 21, der ebenfalls vermehrt auf Kompetenzen statt auf Fachwissen setzt, wich der Referent aus.
Es komme darauf an, was man aus dem Lehrplan mache, liess Müller etwas nichtssagend verlauten. Insgesamt schien der Vortrag auf grosse Zustimmung gestossen zu sein. Das bestätigt auch der Schulleiter der Sekundarschule Reinach, Michael à Wengen. Er stellt fest, dass die Lehrer mit der heutigen Situation teilweise unzufrieden seien. «Es sind insbesondere die jüngeren Kollegen, die sich hinsichtlich der Unterrichtspraxis eine Veränderung wünschen», so à Wengen. Das ginge jedoch nicht von heute auf morgen, aber: «Die Diskussion ist mal ein Anfang.»