«Mit Abschied entlassen»: Auf der Suche nach Spuren eines Reinacher Gardisten

Der erste Schweizer­gardist aus Basel stammte aus Reinach. Historiker Antonio Russo versucht sein Leben nach­- zuzeichnen.

Im Dienste des Papstes: Die Abbildung zeigt einen Schweizergardisten im Jahr 1828. 
         
         
            Fotos: zvg / Antonio Russo

Im Dienste des Papstes: Die Abbildung zeigt einen Schweizergardisten im Jahr 1828. Fotos: zvg / Antonio Russo

Reinacher Gardist: Der Autor hat selbst
in Rom gedient.

Reinacher Gardist: Der Autor hat selbst in Rom gedient.

Vatikanstadt, 7. Mai 2024: Nach der Vereidigung der neuen Schweizergardisten am Vortag ist es in der Kaserne ruhig ­geworden. Wie immer im Mai ist es heiss in Rom, und die Menschen strömen in Scharen in den Petersdom. Die diesjährige Gastdelegation aus dem Kanton ­Basel-Landschaft sowie die Prominenz aus Politik und Armee – darunter Bundesrätin Viola Amherd – sind auf der Abreise von Rom. In dieser etwas entspannteren Atmosphäre treffen sich am frühen Nachmittag drei Personen im Theatersaal der Garde, um unter anderem über einen Eintrag im 200 Jahre alten Verzeichnis der Garde, dem sogenannten Kompanie-Rodel, nachzugrübeln. «Da ist er», sagt Gardearchivar Hauptmann Christian Kühne und zeigt mit dem Finger auf den verblassten und durchgestrichenen Eintrag. Der Direktor des Gardemuseums in Naters, Dr. Werner Bellwald, und ich betrachten die von Kühne markierte Stelle vorsichtig mit einer Lupe. Unter der Laufnummer 281 ist in kursiver Schrift der durchgestrichene Name «Johann Rietschlin» gerade noch lesbar. In der analogen Tabelle sind weitere Details zu ­lesen: sein Geburts- und Bürgerort «Reinach», sein Heimatkanton «Basel», sein Geburtsdatum «27. 4. 1805», sein Eintrittsdatum «Windmonat (= November) 1827», seine Körpermasse, sein Beruf «Student» und in den Bemerkungen die Notiz zu seinem Austritt «1830. Juni. 5. Mit Abschied entlassen». Das ist er, der erste nachweisbare Basler in der Päpstlichen Schweizergarde. Bei diesem Treffen wird auch die Möglichkeit einer Forschungsarbeit über Gardisten aus Basel und der Nordwestschweiz erörtert.

Publikationsreihe startet mit einem Dornacher Gardisten

Seit meiner Zeit in der Garde (2001 bis 2004) hegte ich den Wunsch, mehr über Gardisten aus meiner Region zu ­erfahren. Als Student der Universität ­Basel konnte ich 2005 im ethnologischen Seminar von Dr. Bellwald am Aufbau des Schweizergarde-Museums in Naters mitwirken, das 2006 rechtzeitig zum 500-Jahr-Jubiläum eröffnet wurde. Danach konzentrierte ich mich auf mein Studium, verfolgte aber weiterhin inte­ressiert, wie sich das Museum entwickelte.

Mit der Biografie des Gardisten August Benedikt Kunz startete das Kulturzentrum des Museums 2010 eine Publika­tionsreihe, die bis heute fortgesetzt wird. Kunz war zwar in Dornach beheimatet, aber seine Kindheit verbrachte er als Sohn des Gärtners der Eremitage in Arlesheim. Glücklicherweise bewahrte eine Enkelin in Basel seine Tagebücher auf und übergab sie dem Museum. Mit diesem ersten Band lag nun bereits das Leben eines Gardisten aus der Nordwestschweiz vor. Sollten ähnliche Tagebücher und Briefe des ersten Basler Gardisten Johann Rüetschlin gefunden werden, könnte auch über ihn ein eigener Band erscheinen. Leider ist bis heute nichts dergleichen aufgetaucht.

In den inzwischen digitalisierten Kirchenbüchern von Reinach findet sich zumindest der Taufeintrag, allerdings nicht als Johann Rietschlin, sondern in lateinischer Sprache als «Franziscus Johannes Rüetschlin», Sohn des Wagners Johann Rüetschlin und der Catharina geb. Dollinger. Da das Birseck mit Reinach 1805 zu Frankreich gehörte, wurde er als Franzose im Kaiserreich Napole-ons geboren. Erst 1815 wurde er, wie alle ­Birsecker, Basler.

Eine Fährte zwischen den Zeilen

Nach dem Gymnasium in der Schweiz zog es Rüetschlin nach Rom, wo er Ende 1827 in die Garde eintrat und diese Mitte 1830 wieder verliess. Für den Fall, dass er in die Schweiz zurückkehrte, ist anzunehmen, dass er und seine Familie nicht mehr lange in Reinach blieben, da das Todesdatum im Familienbuch der Gemeinde nicht vermerkt ist. Es ist daher davon auszugehen, dass er im Ausland dahinschied. Ein Kreuz mit dem Wort «jung» neben seinem Namen könnte darauf hindeuten, dass er kurz nach seiner Abreise verstarb. Vielleicht versuchte auch er, mit seiner ganzen Familie nach Amerika auszuwandern, verunglückte aber möglicherweise auf dem Weg zum Hafen von Le Havre, wo die Familie 1832 einschiffte. Die Nachkommen der Familie haben leider keine weiteren Informationen. Die Rüetschlins wählten den Bundesstaat Ohio, der damals viele Schweizer anzog, als neuen Wohnort. Der erste Pfarrer, der die Familie bereits ein Jahr später (1833) besuchte, war der Engadiner Johann Martin Hänni, der spätere erste Erzbischof von Milwaukee (Wisconsin). Da er fast zur gleichen Zeit wie Johann Rüetschlin in Rom war, dort studierte und bereits 1828 als Missionar nach Amerika auswanderte, lag der Gedanke nahe, dass vielleicht eine Verbindung bestehen könnte. Und tatsächlich: Hännis Studienfreund und zeitlebens engster Berater sowie sein Vikar und damit seine rechte Hand in der Erzdiözese, Pater Martin Kundig aus Schwyz, ist im Kompanie-Rodel zwei Zeilen unter Rüetschlin mit der Nummer 283 aufgeführt.

Er trat ebenfalls im November 1827 in die Garde ein, verabschiedete sich aber bereits im Februar 1828, um mit Hänni in den USA zu missionieren. Von ihm sind Tagebücher und Briefe im Archiv von Milwaukee erhalten, die bisher nur teilweise veröffentlicht wurden. Neben einer Passage, in der das Kommando klar kommunizierte, dass Studium und Garde unvereinbar seien, berichtet Kundig, wie er und sein Garde- und Studienfreund Rüet­schlin in Rom bei einem Händler um eine Hose feilschten. Eine erste lebendige Notiz, die mich und die Nachfahrin Rüet­schlins, Eileen Mössle, die mich bei meinen Recherchen unterstützt, besonders gefreut hat.

Acht Reinacher dienten in Rom

Seit 2010 erscheinen in der Schriften­reihe des Kulturzentrums der Garde nicht nur Einzelbiografien, sondern auch Überblickswerke wie jenes über die Gardisten aus dem Wallis. Aus diesem Kanton stammten in den letzten 200 Jahren fast 1000 Gardisten; aus der Nordwestschweiz stammt nur etwa ein Zehntel.

Von den Nordwestschweizer Gardisten stammen etwa ein Viertel aus Basel-Stadt, von den Baselbieter Gardisten drei Viertel aus dem Birseck und davon wiederum die Hälfte aus Reinach.

In der eingangs erwähnten Publikation wird sicher ein Kapitel über Johann Rüet­schlin und eines über die acht Reinacher Gardisten erscheinen, um zu klären, warum gerade aus dieser Gemeinde so viele den Weg nach Rom gefunden haben. Weitere Kapitel werden sich mit den Gardisten aus Baselland und Basel-Stadt, dem Schwarzbubenland und dem Fricktal befassen, und sicher wird auch eines dem Verein ehemaliger Gardisten der Region Basel gewidmet sein. In diesem Verein sind mehr als die Hälfte keine gebürtigen Nordwestschweizer, sondern etwa aus dem Wallis. Somit ist der Heimatort vor allem heutzutage relativ.

*  Antonio Russo ist in Reinach aufgewachsen und hat selbst in der Schweizergarde gedient. Der Kunsthistoriker und Geschichtslehrer beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema der Migration und forscht nebenbei über Schweizergardisten aus der Nordwestschweiz. Russo wohnt ­zurzeit in Dornach.

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