Ein Quartier will mehr – doch wer zahlt’s?
Die Schappe in Arlesheim ist anders. Wer hier wohnt, schweigt nicht – schon gar nicht, wenn es um Nachhaltigkeit, Mitbestimmung, aber auch steigende Mieten geht. Der jüngste Protest zeigt, wie lebendig die Debattenkultur im Quartier ist.

Die «Schappe» tickt anders als normale Wohnsiedlungen. Wer hier wohnt, wird kaum anonym bleiben. Der Zusammenhalt in dieser geschichtsträchtigen und zugleich architektonisch aussergewöhnlichen Baute in Arlesheim war schon immer aussergewöhnlich. Und die Bewohnenden waren stets engagiert. Sie hockten nicht auf den Mund, wenn ihnen etwas nicht passte. Die Schappe wehrte sich etwa gegen den Bau von Handyantennen oder die kantonale Veloroute, welche mitten durch das Wohnquartier hindurchführt und immer wieder für Unfälle sorgte. Vor einer Woche nutzten einige Bewohnende des Quartiers den Tag der offenen Tür der Basler Architektur (Open House), um sich wieder einmal zu äussern. Plakate, welche an verschiedenen Ecken der Siedlung hingen, richteten sich mit kritischen Voten an die Eigentümerinnen des Areals: Die kantonalen Pensionskassen der beiden Basel besitzen die Schappe-Siedlung je zur Hälfte.
280 Parkplätze und keine E-Ladestation
«Mit unserer Aktion wollten wir das Leben in der Schappe nach aussen tragen und Einblicke geben, was uns als Bewohner und Bewohnerinnen in den Holzhäusern beschäftigt», schreiben die Initianten auf Anfrage dieser Zeitung. Sie wollen anonym bleiben. «Warum hat es keine Solarpanels auf den Flachdächern?», stand auf einem der Banner. Auf einem weiteren Plakat hinterfragen Bewohnende, weshalb es in der grossen Einstellhalle mit über 280 Parkplätzen noch keine Ladeinfrastruktur für E-Mobilität gibt. «Ziel war es, sowohl positive als auch kritische Aspekte des Wohnens in der Schappe aufzuzeigen, um einen offenen Austausch über Themen wie Architektur, Wohnen, Zusammenleben oder Nachhaltigkeit anzuregen», erklären die Initianten ihre Aktion.
Das Quartier steht beispielhaft für viele Siedlungen, die etwas in die Jahre gekommen und energetisch nicht auf dem neusten Stand sind. Gebaut wurde die Siedlung auf dem Areal der ehemaligen Seidenspinnerei in Arlesheim – es war die erste Fabrik des Baselbiets und hier wurden die Seidenabfälle, die sogenannte Schappe, gesponnen.
Das Wohnquartier entstand 1997 und es erinnert durch seine Struktur an die ehemalige Fabrikhalle. In der Kernzone der Schappe entstanden in vier Zeilen 72 Holzreihenhäuser, die aus industriell hergestellten Massivholz-Elementen bestehen. Die Holzsiedlung wird von vierstöckigen Klinkerbauten umschlossen, die gewissermassen eine Schutzhülle für die Holzhäuser bilden.
Der Wind pfeift aus den Steckdosen
Viele Familien mieten schon seit vielen Jahren eines der Häuser in der Holzsiedlung. «Im Winter pfeift es aus den Steckdosen raus. Die Dämmung ist ein Thema. Nur die Fensterrahmen wurden einmal ersetzt», sagt ein langjähriger Mieter. Er war nicht Teil der neusten Protestaktion und sieht diese kritisch, obwohl er zugleich Verständnis für die Anliegen hat. Die Schappe sei letztlich auch ein Investitionsobjekt. Würden etwa Solarpanels installiert, schlage sich dies wohl auch auf die Mieten nieder. Auf die Plakataktion habe es aus der Nachbarschaft sowohl positive als auch kritische Rückmeldungen gegeben, bestätigt eine beteiligte Person. Das Beispiel zeigt gut, dass in der Schappe nicht alle der gleichen Meinung sein müssen, aber eine rege Debattenkultur vorherrscht. Die Siedlung wirke nach aussen alternativ und gemeinschaftlich – «von Immobilien Basel-Stadt wird das aber nicht gelebt», sagt er. Für sie als Verwaltung der Liegenschaften gehe es letztlich auch darum, die Häuser der Pensionskassen wirtschaftlich zu vermieten.
Klimastrategie erhöht den Druck
Die Aktion dürfte den Druck auf die Eigentümerschaft erhöht haben. Sollte die Pensionskasse Basel-Stadt ihre Liegenschaften nicht nachhaltiger entwickeln, würde dies im Widerspruch zur ambitionierten Klimastrategie des Stadtkantons stehen. Auf Anfrage schreibt die Pensionskasse, man habe Ende 2023 begonnen, die Installation von E-Ladeinfrastruktur zu prüfen. Mit folgendem Ergebnis: «Wir beabsichtigen, einen Teil der Einstellhalle in den kommenden zwölf Monaten für E-Mobilität zu ertüchtigen.»
Mit dem Bau von Photovoltaikanlagen beschäftige sich die Pensionskasse seit mehr als zehn Jahren. Die Restlebedauer der Dachflächen sei aber zu gering, um das PV-Potenzial bereits jetzt auszuschöpfen. Wie Nachforschungen dieser Zeitung ergeben, liesse sich allein auf der Holzsiedlung Strom für 180 Familien produzieren. Bei einer Sanierung der Dächer würden die Möglichkeiten von Sonnenstrom nochmals überprüft, so die Pensionskasse Basel-Stadt.
Was wird aus der Schappe werden?
Einer, der die Schappe bestens kennt, sagt, es sei oft gemunkelt worden, die Pensionskassen würden die Siedlung vermutlich verkaufen, wenn der grosse Investitionsbedarf komme. Zu dieser Spekulation äussert sich die Pensionskasse Basel-Stadt mit schwammigen Begriffen aus der Immobilienwelt: «Aufgrund des Gebäudealters wird in den kommenden Jahren eine ganzheitliche Gebäudeanalyse durchgeführt und standardmässig die Objektstrategie neu definiert.»
Was aus der Schappe wird, ist also unklar. Die einzelnen Bauteile und auch die Gebäudehülle hätten ihre bauliche Lebensdauer jedoch noch nicht erreicht, so die Pensionskasse. Zunächst soll die Wärmeversorgung des Quartiers dekarbonisiert werden. Bislang wurde die Schappe über einen Wärmeliefervertrag mit Gas beheizt. 2027 läuft der Vertrag mit dem Energielieferanten aus. Danach bestehe die Möglichkeit, die Schappe an den Wärmeverbund Birsstadt anzuschliessen, der aus erneuerbaren Energien gespeist wird, schreibt die Pensionskasse. Weitere Alternativen würden parallel geprüft.
Die Heizkosten waren in der Schappe immer mal wieder Thema im Lauf der Jahre. Das wolle die Pensionskasse bei der künftigen Wärmeversorgung auch berücksichtigen, so die Eigentümerschaft.