Ein Kauz mit Herz

Das Neue Theater in Dornach bringt Anaïs Meiers preisgekrönte Groteske «Mit einem Fuss draussen» über einen Sonderling auf die Bühne.

Ufersteg wird zum Küchentisch: Jonas Gygax als Detektiv Gerhard und Natalina Muggli als die Securitas-Angestellte Rita Blüehler. Foto: Luzia Hunziker

Dieses Stück ist nah am Wasser gebaut – und zwar wortwörtlich: Im bis auf den letzten Platz ausgebuchten Studio des Neuen Theaters ist am Premierenabend ein Minisee aus blauem Holz aufgebaut, inklusive Steg, Schilf und Strassenlaterne. Das minimalistische Bühnenbild von Regisseur Jonas Darvas wird im Lauf des Abends noch einige Überraschungen bergen.

Zuerst einmal richten sich aber alle Augen auf die Gestalt in verwaschenen Kleidern und Hochwasserhosen, die selbstbewusst auf den Steg stakst: Gerhard (Jonas Gygax) ist keine gewöhnliche Hauptfigur. So viel wird schnell klar. Das fängt schon damit an, dass er gleich am Anfang Atemübungen im Schilf absolviert. Er verstecke sich dort vor seinen Gegnern, erklärt er, den «Anglern und Fischern Schweiz», kurz AFS. Deren bierselige Vorsteher Kevin und «Krücken­patrick» würden ihn nach Möglichkeit piesacken.

Zumindest ist Gerhard der Überzeugung, dass dies der Fall ist. Denn je länger der Exzentriker redet, desto stärker zeigt sich, dass er ein eher unzuverlässiger Erzähler ist: Neben dem AFS ärgert sich der (vermutlich) Langzeitarbeitlose, der ein Kämmerchen in einem «Haus wie von Rocky Docky» bewohnt, auch über eine arrogante Ente, mit der er sich regelmässig unterhält. Wie die meisten Figuren ist diese nie auf der Bühne zu sehen.

Auf ein Pizza-Date mit der Securitas-Frau

Der See, erfährt das Publikum weiter, habe sich an Gerhard gewandt. Das Gewässer sei aus dem Gleichgewicht geraten, seitdem Gerhard einen abgetrennten Fuss im Wasser entdeckt habe. Klar, dass Gerhard sich da zum «Kommissär» ernennt, um den Mordfall zu lösen: «Das passt schon lange zu mir.» Der folgende absurde Provinzkrimi entspinnt sich grösstenteils über Gygax’ Schilderungen. Dabei gelingt es dem Basler Schauspieler, rein mit seiner Mimik, seiner Stimmlage und vereinzelten Slapstick-Verrenkungen unzählige Szenen vor dem inneren Auge des Publikums aufsteigen zu lassen. Nur manchmal kommt es zu Dialogszenen, in denen der Hippie etwa das Herz der Securitas-Angestellten Rita Blüehler (Natalina Muggli) erobert. Deren geliebter Hund wurde im Seepark vergiftet. Für Gerhard ist klar, dass dieser Todesfall irgendwie mit dem gefundenen Fuss zusammenhängen muss.

Es verblüfft, mit anzusehen, wie Muggli und Gygax mit einigen Handgriffen aus dem Ufersteg einen Küchentisch machen, an dem sie sich zum Pizza-Date treffen. Gerhards Kommissärsklause entsteigt dem Bühnenbild auf ähnliche Art. Dass das Stück vor allem aus Monologen besteht, tut dem Unterhaltungswert von «Mit einem Fuss draussen» keinen Abbruch – im Gegenteil: So kommt die Sprache von Anaïs Meiers gleichnamigem Roman, dessen Handlung der Abend eng folgt, umso mehr zum Tragen.

Es wurde auch Zeit, dass jemand Meiers urkomisches Romandebüt auf die Bühne brachte. 2022 erhielt die Wahlzürcherin dafür in Deutschland den Förderpreis für komische Literatur. Der Hauptpreis ging damals an den Komiker Helge Schneider, dessen Krimiparodien Meier als literarisches Vorbild sieht.

Dabei gelingt es dem Stück, eine Eigenheit des Romans überzeugend für die Bühne zu übersetzen: Meiers unkonventionelle Sprache. Immer wieder erfindet Gerhard verschrobene Formulierungen: Er trinkt «Whiksy» oder hat «ein Karussell über dem Kopf». Schade ist einzig, dass Gygax auch die vielen Helvetismen in glasklarem Bühnendeutsch von sich gibt – etwa, wenn Gerhard von sich sagt, dass er «eine Gattung macht».

Eine ganze Lebensgeschichtein einer Geste

Ansonsten spielen die beiden Darstellenden naturalistisch – wenn Rita Blüehler etwa wegen des Tods ihres Hundes in Tränen ausbricht, fühlt man sich betroffen. Und wenn Gerhard dem Publikum gut eine Viertelstunde den Rücken zudreht, während Muggli als Erzählerin von seinem zwischenzeitlichen Sturz in den Alkoholismus berichtet, meint man, in Gygax’ Geste eine ganze Lebensgeschichte abgebildet zu sehen. Überhaupt gelingt es diesem Stück hervorragend, den sympathischen Sonderling Gerhard in den Fokus zu rücken. Das Publikum hört einem Menschen zu, den es sonst vermutlich kaum beachten würde, und fiebert mit, wenn er der Lösung des Falls zahlreichen Rückschlägen zum Trotz immer näher kommt.

Ihn habe interessiert, wie man «die Geschichte eines Menschen am Rande der Gesellschaft erzählen und ihm eine Stimme geben kann, ohne sich dabei über ihn zu belustigen», sagte Regisseur Jonas Darvas kürzlich dem Wochenblatt. Das ist ihm auf jeden Fall gelungen. Und auch einmal schön: Am Schluss gibt es sogar ein Happy End.

«Mit einem Fuss draussen». Weitere Spieldaten: Do, 11. 4., 19.30 Uhr; Sa, 13. 4., 19.30 Uhr; So, 14. 4., 18 Uhr; Sa, 20. 4., 19.30 Uhr; Sa, 25. 5., 19.30 Uhr; Sa, 1. 6., 19.30 Uhr. ­neuestheater.ch

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