Analyse: Schwäche der FDP hilft Kirchmayr – und der SP
Der Wahlkampf um die Nachfolge von Regierungsrätin Monica Gschwind (FDP) nimmt an Fahrt auf. Eine Einschätzung der Lage.

Dem Vorwahlkampf im Baselbiet hat eine Person schwungvoll den Stempel aufgedrückt: Klaus Kirchmayr. Vor zehn Tagen kündigte der ehemalige Grünen-Landrat seinen Wechsel zur FDP und seine Kandidatur für die Nachfolge der abtretenden Regierungsrätin Monica Gschwind an. Der Aescher legte den Medien sogleich ein Regierungsprogramm als künftiger Bildungsdirektor vor, unter anderem will er die Uni-Finanzierung mit Basel-Stadt neu aushandeln. Trotz kleinerer Regiefehler ist dem Strategen ein Coup gelungen.
Dass in derselben Woche die BLKB-Spitze wegen des Fiaskos mit der Tochter Radicant ihren Rückzug ankündigte: ein terminlicher Zufall, der Kirchmayr in die Hände spielt. Der frühere Investment-Banker kritisiert das Geschäftsgebaren der BLKB seit Jahren.
Überläufer nutzt Personalprobleme
Nach der Kirchmayr-Show hat sich der Bühnennebel verzogen und die erste Aufregung gelegt. Dass diese eine derart starke Dynamik entfacht hat, spricht nicht für die FDP, die nach der Rücktrittsankündigung Gschwinds unter Zugzwang steht. Stünde beim Freisinn jemand aus der ersten Garde bereit – etwa der Birsfelder Gemeindepräsident Christof Hiltmann oder die Landrätin und frühere Parteichefin Saskia Schenker –, hätte sich das Thema Kirchmayr erledigt. Der Überläufer weiss das auch und nutzt die Personalprobleme der FDP für seine Zwecke. Dass sich Kirchmayr seiner neuen Partei als Ur-Freisinniger andient, ist Etikettenschwindel. Zwar machte er als Landrat in der Finanz- und Wirtschaftspolitik oft gemeinsame Sache mit den Bürgerlichen. In der Verkehrs- und Energiepolitik politisierte er freilich im sattesten Grün. Erst im April lehnte der Landrat einen Vorstoss Kirchmayrs für einen Klimaschutzartikel in der Verfassung ab; FDP-Parlamentarier äusserten dezidiert Kritik.
Kirchmayr ist kaum der geeignete Regierungskandidat der FDP für die Wahl am 26. Oktober. Doch seine Kontrahenten sind es vermutlich auch nicht. Der Arlesheimer Gemeindepräsident Markus Eigenmann? Ein progressiv Liberaler im besten Regierungsalter, aber im Kanton noch wenig bekannt und als Kopf der Initiative für einen massvollen Finanzausgleich im Oberbaselbiet schlecht vermittelbar. Der Aescher Landrat Rolf Blatter? Ein Mann mit klarem wirtschaftsliberalem Profil, aber alte Schule – er verkörpert nicht den nötigen Aufbruch. Ähnliches gilt für den Binninger Landrat Sven Inäbnit, der zumindest sein Interesse kundgetan hat.
Als Kandidatin gehandelt wird zudem die Buusner Gemeindepräsidentin und Landrätin Nadine Jermann. Sie könnte die Zukunft der FDP sein, ihr würde aber im Wahlkampf um die Ohren geschlagen, dass sie im BLKB-Bankrat sass, als das umstrittene Radicant-Abenteuer beschlossen wurde. Von den bisher Gehandelten könnte der Liestaler Stadtpräsident Daniel Spinnler am ehesten die Reihen in der Partei schliessen und geografisch Brücken schlagen.
Die Gegner auf der linken Seite beobachten das Sommertheater mit der Popcorn-Tüte im Kinosessel. Aus Sicht der SP macht es Sinn, mit einer eigenen Kandidatur ins Rennen zu steigen. Die zweitstärkste Partei im Landkanton hat bei dieser Ersatzwahl (fast) nichts zu verlieren. Zwar ist die Wahrscheinlichkeit gering, dass das Wahlvolk neben Sicherheitsdirektorin Kathrin Schweizer auf Anhieb eine zweite SP-Vertretung wählt. Dennoch dürfte sich eine Aufbaukandidatur mit Blick auf die Gesamterneuerungswahlen 2027 lohnen. Denn da werden die Karten mit dem erwarteten Abtritt von Langzeitregierungsrat Isaac Reber (Grüne) und vielleicht auch von Finanzdirektor Anton Lauber (Mitte) neu gemischt.
Kommt’s zum Vater-Sohn-Duell?
In der Poleposition steht Adil Koller. Der SP-Fraktionschef und frühere Parteipräsident hat bereits kundgetan, dass ihn das Regierungsamt reizt. Die Frage beim 32-jährigen Münchensteiner ist wohl nicht, ob, sondern wann er den Hut in den Ring wirft. Jetzt? In zwei Jahren? Erst in zehn? Käme er jetzt, müssten sich die Freisinnigen warm anziehen. Neben Koller Interesse gezeigt hat der frühere Fraktionschef Roman Brunner, 45. Der Gymnasiallehrer hat sich als Bildungspolitiker einen Namen gemacht. Dasselbe gilt für die langjährige SP-Chefin und Landrätin Miriam Locher, 43. Sie dürfte indes darauf bauen, nach dem Rücktritt von Eric Nussbaumer ins Bundesparlament nachzurücken.
Und dann gibt’s noch einen Kirchmayr in SP-Reihen. Sohn Jan, 31, hat bereits vor Vater Klaus kundgetan, dass ihn die Bildungsdirektion reizt. Er wäre in einer SP-internen Ausmarchung nicht chancenlos. Sollte es am 26. Oktober zum Duell Kirchmayr vs. Kirchmayr kommen, wäre das die Sensation des Jahrzehnts. Dann wären sämtliche gängigen Polit-Mechanismen ausser Kraft gesetzt.