Nichts ist so beständig wie der Wandel

Sarah Walbeck gestaltet im Rahmen eines Kunstprojekts eine leerstehende Villa in Arlesheim um. Dafür begibt sich die junge Künstlerin auch auf eine Spurensuche in der Vergangenheit.

Familienerinnerungen: Künstlerin Sarah Walbeck hat alle Schlüssel, die sie im Haus gefunden hat, in der ehemaligen Werkstatt aufgehängt. Foto: Fabia Maieroni
Familienerinnerungen: Künstlerin Sarah Walbeck hat alle Schlüssel, die sie im Haus gefunden hat, in der ehemaligen Werkstatt aufgehängt. Foto: Fabia Maieroni

Es gibt Häuser, die versprühen einen ganz besonderen Charme. Die leer stehende Villa am Bruggweg 60 in Arlesheim, in der ich mich am Dienstag mit der freischaffenden Künstlerin Sarah Walbeck treffe, ist eines davon. Was sich wohl hinter dem schmucken Eingangstor verbirgt?

Die Haustür steht offen, ein leises Summen weht mir entgegen. Kaum habe ich das Haus betreten, kommt mir ein aufgeregter Hund entgegengesprungen. «Das ist Biala», sagt Sarah und bittet mich mit einem Lächeln herein. Sie arbeitet gerade in einem Raum, in dem sie mit Polarisationsfolie experimentiert. Einzelne Stücke hängen von der Decke runter. Licht, das auf die Folie trifft, bricht sich je nach Einfallwinkel und führt zu wunderbaren Farben. Allerdings entdeckt man den Effekt nur, wenn man das Kunstwerk durch einen aufgespannten Filter im Türrahmen betrachtet. Die Wände sind schwarz angemalt, damit die Farben möglichst gut zur Geltung kommen. «Mich fasziniert an dieser Arbeit, dass sich der Raum stets verändert. Von aussen erkennen wir so viele Farben, stehe ich jedoch im Raum und schaue mir die einfachen Folien an, dann sehe ich keine. Es ist doch ein wenig wie das Leben – mal farbig, mal eher grau, aber es verändert sich stets.»

Auch Sarahs ursprüngliche Idee für das Zimmer hat sich im Laufe der Arbeit verändert. «Ich war irgendwie nicht mehr zufrieden mit dem Raum. Also habe ich einen Spaziergang durch die grosse Gartenanlage gemacht, um mich inspirieren zu lassen. Denn in der Kunst ist das Beobachten manchmal fast wichtiger.» Dabei hat Sarah einen Baum entdeckt, der langsam abstirbt. «Da wusste ich: Das ist es!» Kurz entschlossen sägte sie einen grossen Ast ab. Dieser hängt nun in diesem Raum an der Decke – die Künstlerin hat ihn selbst hochgehievt und montiert. Eine Flasche gefüllt mit Wasser hält ihn am Leben. Wie lange? Das weiss Sarah nicht. «Aber Geburt und Tod sind wohl die grössten Veränderungen im Leben. Dieses Thema wollte ich unbedingt aufgreifen.»

«Veränderung vormals 14»

Spätestens jetzt wird der Besucherin klar: Veränderung ist das Leitthema, das sich Sarah für ihr Kunstprojekt gesetzt hat. Dass sie dieses überhaupt umsetzen kann, ist grosses Glück, wie sie betont. «Eigentlich habe ich das Ganze meinem Vater zu verdanken. Er hat die Familie der ehemaligen Hausbesitzer bei der Räumung von alten Büchern im Haus kennen gelernt. Er betreibt ein Antiquariat in Arlesheim. Als ich ihm von meiner Idee erzählt habe, hat er den Kontakt zur Familie hergestellt.» Die Enkelkinder seien sofort begeistert gewesen. Und auch die Immobilienfirma Projektkontor, der die Parzelle gehört und die auf dem Gelände ab 2023 drei Mehrfamilienhäuser realisieren möchte, stimmte rasch zu, ihr die Villa zur Verfügung zu stellen.

Vergangenen Herbst hat Sarah ihr Projekt «Veränderung vormals 14» in Angriff genommen. Der Name leitet sich aus der Hausnummer der Villa ab: Lange zeugte ein Schild an der Hausmauer davon, dass diese einmal die Nummer 14 trug, dann aber zur Nummer 60 wurde. Sarah zeigt mir einen Rest des Holzschildes, der noch übrig ist. «Es ist mir wahnsinnig wichtig, die Veränderungen des Hauses und seine Geschichte in meine Arbeit miteinfliessen zu lassen, gleichzeitig aber den Menschen auch einen Hoffnungsfunken für die Zukunft mitzugeben.

Bewohnt wurde die Villa früher von Familie Chrétien. «Die Grosseltern hatten ein grosses Faible für Kunst. Frau Chrétien hat mit 90 noch einen Kurs an der Visual Art School in Münchenstein besucht.» Die gleiche Kunstschule, in der Sarah ausgebildet wurde. Nach dem Abschluss der Rudolf Steiner Schule hatte sie ursprünglich eine Ausbildung in Hotelmanagement in Zürich absolviert und als Bankettleiterin gearbeitet. Ihren sicheren Job hängte sie aber wegen der Liebe zur Kunst bald an den Nagel. «Es stellte sich heraus, dass ich an der Kunstschule sogar dieselben Lehrer wie Frau Chrétien hatte», freut sich die 29-Jährige.

Kein Luxus, dafür Leidenschaft

Von der Kunstliebe der Chrétiens erfahren hat Sarah durch die Enkelinnen Nadine und Juliette, mit denen sie regelmässig in Kontakt steht. Familienerinnerungen will die Künstlerin unbedingt in ihr Projekt miteinbeziehen.

Im ersten Stock zeigt mir Sarah fünf Boxen, in denen unzählige Steine liegen. Eine Hommage an die ehemalige Hausherrin, die Steine aller Couleur liebte und sammelte. «Ich habe sie im Taubenhaus gefunden. Frau Chrétien war fasziniert von Steinen, deshalb habe ich sie alle mit Regenwasser gewaschen und nach Farben sortiert. Es war eisig kalt draussen und meine Finger sind fast abgefroren. Aber es war ein sehr interessanter Prozess.» Auch eine der Enkelinnen mache heute mit Steinen Kunst. «Der Kreis schliesst sich.»

Auf Luxus verzichtet die junge Künstlerin gerne – fliessendes Wasser, Strom oder eine Heizung gibt es in der Villa heute nicht mehr. Ihre Mahlzeiten bereitet Sarah meist auf dem Campingkocher oder über dem Kaminfeuer zu. Wenn es dunkel wird, beleuchten Kerzen und batteriebetriebene Lampen die Räume. Einsam fühlt sie sich dabei nie. «Biala ist ja da, sie leistet mir gute Gesellschaft.»

Im Frühsommer will Sarah ihre Ausstellung eröffnen. Alle Räume sollten bis dann fertig sein, so der Plan. Bis dahin sucht sie Sponsoren, die ihr Projekt unterstützen möchten. Denn ihre Arbeit finanziert sie aktuell mit Nebenjobs im Bereich Kunst und Kultur sowie durch ihr Erspartes. Interessierte finden alle Infos unter: sarah-walbeck.com

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