Ein explodierender Kopf

Das Forum Würth Arlesheim zeigt einen Querschnitt der Werke des französischen Künstlers Tomi Ungerer.

Vielseitig: «L’Homme aux Lunettes» (1963) zeigt exemplarisch die Skurrilität in Ungerers Werken. Foto: Tomi Ungerer Estate / Diogenes Verlag AG Zürich
Vielseitig: «L’Homme aux Lunettes» (1963) zeigt exemplarisch die Skurrilität in Ungerers Werken. Foto: Tomi Ungerer Estate / Diogenes Verlag AG Zürich

Der Kopf Tomi Ungerers war eine Quelle unerschöpflicher, sprudelnder Ideen. Zeitlebens klagte der 2019 verstorbene, aus dem Elsass stammende Künstler über seine Ideenflut – sein Kopf würde deswegen «nur so explodieren». Meistens arbeitete er an zehn bis zwölf Kunstwerken gleichzeitig. Was die reine Masse seiner Werke angeht, müsse er den Vergleich mit Pablo Picasso nicht scheuen, sagen Kunstkenner. 1931 in Strassburg geboren, arbeitete Ungerer – nach ersten Wanderjahren quer durch Europa – gleichzeitig als Zeichner, Maler, Illustrator, Kinderbuchautor und Werbegrafiker. Sein Gesamtwerk zählt mehr als 40000 Zeichnungen, Ölbilder, Plakatentwürfe, Collagen, Lithografien, Holzschnitte und Objekte. Dazu kommen über 140 Bücher von der Sozialsatire bis zum Märchenbuch, darunter moderne Kinderbuch-Klassiker wie «Die drei Räuber» oder «Der Mondmann».

Enfant terrible in den USA

Seit dem 3. Dezember zeigt das Forum Würth Arlesheim, das auf einen reichen Bestand von 250 Werken Tomi Ungerers in der eigenen Sammlung zurückgreifen kann, einen inhaltlichen Querschnitt durch das Lebenswerk des grossen Künstlers. Ungerer war vielseitiger Maler und Illustrator, aber eben auch virtuoser Grafiker, weshalb seine Werke auch auf Menschen wirken, die der bildenden Kunst nicht sehr nahestehen, denn Ungerers Bildsprache ist klar und pointiert, ohne deswegen aber ins Triviale abzugleiten. Die Ausstellung in Arlesheim ist nicht chronologisch, sondern nach Motiven und Lebensthemen angelegt, die an einem bestimmten Punkt in Ungerers Schaffenszeit auftauchen: So widmen sich die Werke im 1. Obergeschoss den Tieren, dem wohl bekanntesten und erfolgreichsten Motiv im Gesamtwerk des Künstlers – sie spielen vor allem in mehreren seiner preisgekrönten Kindergeschichten zentrale Hauptfiguren. Dabei bediente sich der Künstler nicht nur putziger Kätzchen, sondern auch weniger gern gesehener Tiergenossen wie Reptilien, Insekten oder Aasgeier.

Einer von hier

Verwandlungen verschiedenster Art – von Fundstücken zu Kunst, von Tieren zu Menschen, vom Witz zur politischen Aussage – zeichnen das Werk Tomi Ungerers aus. Thematisch ganz anders gelagert sind seine Werke über Krieg, Rassismus oder Sexualität, wie im 2. Obergeschoss der Ausstellung zu sehen ist: Bereits in seiner Jugend war Ungerer als Elsässer mit dem Krieg konfrontiert worden und nahm später als französischer Soldat am Algerienkrieg teil. Diese Erfahrung machte ihn zum Pazifisten. Während seiner Lebensjahre in den USA sorgten seine Plakate gegen Vietnamkrieg und Rassentrennung für Aufsehen. Unterhaltsam und ebenso drastisch sind seine bitterbösen Kommentare auf die amerikanische High Society. Diese und andere Veröffentlichungen machten Ungerer einen weiteren Verbleib in den USA unmöglich – sogar das FBI soll ihn unter Beobachtung genommen haben. 1975 kam Ungerer zurück nach Europa, wo er sich abwechselnd zwischen Strassburg und Irland aufhielt. In dieser Zeit setzte er sich für die deutsch-französische Freundschaft ein, was sich auch in Werken, die in Arlesheim zu sehen sind, widerspiegelt. Ungerer «verkörperte die Komplexität des Elsass, seiner Doppelkultur», sagte der Bürgermeister von Strassburg angesichts seines Todes 2019. Ungerer blieb stets mit der Region verbunden, man kennt ihn: «Gerade ältere Leute, welche die Ausstellung besuchen, erzählen von Begegnungen, die sie mit Tomi Ungerer erlebt haben», sagt Catherine Iselin, Kuratorin der Ausstellung und Leiterin Forum Würth Arlesheim. Der Zugang zur Ausstellung ist gratis.

Weitere Informationen:

www.forum-wuerth.ch/arlesheim

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