«Quantum Visions»: Wie Kunst die Physikerlebbar macht

Unfassbar klein, unfassbar komplex: Die Quantenphysik entzieht sich dem Verstehen. Das HEK in Münchenstein verwandelt sie in Farbe, Klang und Erlebnis.

«Quantum Visions» zeigt, was Kunst in einem hochkomplexen Feld leisten kann: Sie übersetzt. Foto: zvg / Franz Wamhof

«Quantum Visions» zeigt, was Kunst in einem hochkomplexen Feld leisten kann: Sie übersetzt. Foto: zvg / Franz Wamhof

Interaktiv: In der Ausstellung können Besuchende selbst Teil der Kunst werden.

Interaktiv: In der Ausstellung können Besuchende selbst Teil der Kunst werden.

«Ich hab mich total einlesen müssen», gesteht HEK-Direktorin Sabine Himmelsbach. Doch dann, erzählt sie, sei sie in ein «rabbit hole» gefallen – mitten hinein in eine Welt, die für Laien irgendwo zwischen Science-Fiction und Geheimbund liegt: die Quantenphysik.

Dabei ist sie längst Alltag. Ohne Quanten gäbe es kein GPS, keine digitale Verschlüsselung. Und in Arlesheim steht der fortschrittlichste Quantencomputer der Schweiz. Doch verstehen, wie das alles funktioniert? Unmöglich. Teilchen können an mehreren Orten zugleich sein, Zustände überlagern sich, selbst Paralleluniversen sind theoretisch denkbar. Wie bringt man so etwas in einen Ausstellungsraum? «Möglichst sinnlich», erklärt die Direktorin. «So, dass man die Theorie nicht kennen muss.» Und tatsächlich gelingt das «Quantum Visions» verblüffend gut.

Die Kunst im Quantenrausch

Ein erster Höhepunkt ist «Parting the Waves» des britischen Duos Semiconductor: In einem abgedunkelten Raum hebt und senkt sich eine Landschaft aus Licht, sie flimmert, bebt, kollabiert, begleitet von einem pulsierenden Rauschen. Komplexe Messdaten werden zu Farben und Klang. Die Künstlerin Ruth Jarman spricht von «Quantenverschränkungen» – von Teilchen, die sich verhalten, als wären sie telepathisch verbunden. Verstehen muss man das nicht. Man darf auch einfach staunen.

Science-Fiction-Stimmung bietet «Ever’ett» des Genfer Z1-Studios. Mit einer frei steuerbaren Kamerafahrt erkunden die Besuchenden ein eisblaues Paralleluniversum, das sich bei jeder Entscheidung neu entfaltet. Die Installation bezieht sich auf Hugh Everetts Viele-Welten-Theorie, der zufolge bei jeder Entscheidung unzählige neue Universen entstehen. «Wir wollten eine dieser möglichen Welten zeigen», erklären die Künstler, «eine, in der die Gletscher zurückgekehrt sind, die in unserer Welt geschmolzen sind.» Ein poetisches Requiem – und ein Blick in eine Welt, die wir hätten haben können.

Noch tiefer ins Unsichtbare führt die VR-Installation «Quantum Lens»: VR-Brille auf und schon schiesst man durch einen Tunnel aus Licht und Energie! Für einen Moment fühlt man sich wie ein Quantenteilchen. Hier geht es nicht um Belehrung, sondern um Erfahrung.

Leonardo da Vinci trifft Cern

«Quantum Visions» zeigt, was Kunst in einem hochkomplexen Feld leisten kann: Sie übersetzt. Eine Linie, die sich bis zum Künstler und Wissenschafter Leonardo da Vinci zurückverfolgen lässt. Wie er bewegen sich viele der beteiligten Kunstschaffenden zwischen den Welten, kennen das Cern nicht nur aus der Zeitung. Die britische Künstlerin Libby Heany etwa war selbst Quantenphysikerin, bevor sie zur Kunst wechselte. Ihre Installation kombiniert 32 überlagerte Videos – darunter auch eines der Besuchenden selbst – mit einem gesprochenen Gedicht über Trauer. «Die Quantenphysik half ihr, den Suizid ihrer Schwester zu verarbeiten», erklärt Himmelsbach. «Sie sagte sich, dass ihre Schwester in einem Paralleluniversum weiterexistieren könnte.» Plötzlich wird die sonst kalt-kosmische Physik unerwartet tröstlich.

Plötzlich nur noch Bildschirmschoner

Nicht alle Arbeiten tragen so weit. Die Visualisierungen von Joan Heemskerk etwa zeigen Satelliten und Datenströme, wollen die praktischen Anwendungen der Quantenphysik sichtbar machen. Man sieht Daten, doch man spürt nichts. Hier kippt die Kunst ins Dekorative, wird zum Bildschirmschoner für Nerds. Das ist eine Falle, in die schon andere HEK-Ausstellungen tappten: abstrakte Phänomene wie KI oder die Blockchain ästhetisch abzubilden, ohne sie erfahrbar zu machen. Hier bleibt es die Ausnahme. Wer mehr wissen will, findet im hinteren Raum Erklärvideos zur Quantenphysik, an ausgewählten Daten sind zudem Quantenforscherinnen und -forscher in der Ausstellung, um Fragen zu beantworten.

Das grosse Rätsel lösen zwar auch sie nicht. Doch das ist gut so. Oder wie der Physiker Richard Feynman sagte: «Wer glaubt, die Quantentheorie verstanden zu haben, hat sie nicht verstanden.»

«Quantum Visions», HEK,

Münchenstein, bis 16. November 2025

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