Eine notwendige Zumutung

Derzeit stellt im KunstRaumRhein im Haus Julian der 1950 in Allschwil geborene Künstler Joey Schmidt-Muller aus. Er knüpft bei der Neuen Sachlichkeit und beim späten Goya an. Eine beeindruckende Werkschau.

Entlarvende Darstellung: Joey Schmidt-Muller vor seiner riesigen Arbeit «Die verkaufte Frau».  Foto: Thomas Brunnschweiler
Entlarvende Darstellung: Joey Schmidt-Muller vor seiner riesigen Arbeit «Die verkaufte Frau». Foto: Thomas Brunnschweiler

«Joey Schmidt-Mullers Bilder sind eine Zumutung», schrieb der Dichter Wernfried Hübschmann. Er meinte es als Kompliment. Das Gegenteil einer Zumutung im Sinne von Aufforderung und Ärgernis ist eine angenehme Anmutung ohne Konsequenzen. Aus den mit preussischblauer Ölpastellkreide gemalten Bildern blicken uns verzweifelte und gequälte Kreaturen entgegen. Es sind der Schmerz, die Angst und die Verzweiflung unserer Welt, die hier in einer halb realistischen, halb traumhaft symbolistischen Weise gezeigt werden, oft mit einem Schuss Selbstironie. Der Titel der Ausstellung heisst «Kristallnacht». Dieser Begriff aus dem Vokabular der Nazis ist an sich schon ein Politikum und provokativ, vor allem, weil die Vernissage auf den 9. November fiel, auf den Tag der Pogromnacht in Deutschland vor 81 Jahren, die den Beginn des Holocaust markiert. Doch Schmidt-Muller wollte nicht dieses Ereignis darstellen; es wäre für ihn zu platt gewesen. Der Titel «Kristallnacht» ist bloss ein Reizwort, bei dem sich Bilder im Kopf ergeben, Bilder, die mit Gewalt und Entmenschlichung zu tun haben. Dem Künstler geht es um die Gegenwart, die zunehmende Verrohung und Gewalt, die Einschränkung der Menschenrechte, die Dummheit, Fremdenfeindlichkeit, Verführbarkeit und Korrumpierbarkeit des Menschen. Seine feinstrukturierten Bilder erzählen und pendeln zwischen intensivem Ausdruck und ästhetischer Bewältigung. Der Blick auf die Bilder schmerzt, die sich an der Neuen Sachlichkeit (1918–1933) orientieren, vor allem an George Grosz und Otto Dix. Sie sind aber motivisch auch klar erkennbar eine Hommage an den späten Goya, der die Abgründe der menschlichen Seele und Geschichte auszuloten wusste. Joey Schmidt Muller sagte einmal: «Oft vergleiche ich mich mit einer Mücke, die in die pralle Bequemlichkeit sticht.»


Traumatischer Realismus

Der Künstler nennt seinen Stil «Traumatischen Realismus» oder auch «Denkmalerei». Was auffällt, ist das Assoziative, das Angebot an die Betrachtenden, die Bilder mehrdeutig zu lesen. Obgleich die Werke den Menschen im buchstäblichen Sinne ent-larven, sind sie doch nie menschenverachtend. Der Künstler hätte wohl unter den Nazis wie unter Stalin als «entartet» gegolten und sich auch in der McCarthey-Ära in den USA keine Freunde gemacht. Kritische Kunst ist bei den Herrschenden bis heute nicht beliebt. Das künstlerische Palmarès von Joey Schmidt-Muller ist lang und enthält prominente Stationen wie die Art Palm Beach in Miami, die Dortmunder Museumsnacht, die XI. Biennale Florenz oder die zweimalige Finalistennomina-tion an der Art Revolution in Taiwan. Trotzdem ist der Künstler in der Schweiz wenig bekannt. Umso wichtiger ist die Ausstellung in Dornach. Im Haus Julian findet am 2. Dezember eine Werkbesichtigung mit Diskussion statt; Thema: «Ist der Mensch noch zu retten?». Die Galeristin lädt Interessierte herzlich ein.

 
«Kristallnacht», KunstRaumRhein, Haus Julian,  Dorneckstrasse  37,  Dornach. Bis 7. Dezember.

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