Dankbar sein und weitermachen!

Wenn Frauen genauso durchschnittlich sein dürfen wie Männer, dann wäre das Ziel erreicht. Wie die Solothurner alt Regierungsrätin Ruth Gisi zu dieser Aussage kommt.

«Wir haben viel erreicht»: alt Regierungsrätin Gisi Ruth im Interview. Foto: Gini Minonzio
«Wir haben viel erreicht»: alt Regierungsrätin Gisi Ruth im Interview. Foto: Gini Minonzio

Am liebsten wäre es der Solothurner alt Regierungsrätin Ruth Gisi, wenn man die Frauenförderung ad acta legen könnte, weil sich das Patriarchat in weiblichen und männlichen Köpfen endgültig verabschiedet hat. Doch das wird noch ein Weilchen dauern.

Die Hochwaldnerin Gisi (70) ist selber einen weiten Weg gegangen. Nach der Matura arbeitete sie in verschiedenen Berufen und hatte das Gefühl, nicht weiterzukommen. So begann sie mit 34 ihr Jus-Studium, das sie mit dem Anwaltspatent abschloss. Mit 40 wurde sie FDP-Gemeinderätin und mit 46 Regierungsrätin. Als Bildungsdirektorin setzte sie sich besonders für die Berufsbildung und pionierhaft für die bessere Ausbildung der Mädchen ein. Für sie war das ein Weg zu ihrem grossen Ziel: mehr Frauen mit guten Berufschancen und mehr Frauen in der Politik.

Wochenblatt: Sie haben in den 90er-Jahren in der FDP dafür gearbeitet, dass sich die Frauen das nötige Rüstzeug für den Politikbetrieb aneignen. Hatten Sie nachhaltigen Erfolg?

Ruth Gisi: Wir stellten zum Beispiel Rhetorikkurse auf die Beine und luden namhafte Referentinnen ein, um unser Auftreten zu optimieren. Viel gebracht hat es offensichtlich nicht. Noch immer haben Frauen tausend Ausreden und sie trauen sich nicht, ein Amt zu übernehmen. Dafür lebt das Weibchenschema zum Beispiel in den Social Media wieder auf. Die Frauenrechtlerin Alice Schwarzer meinte kürzlich, auf Instagram werde wieder die Frau belohnt, die hübsch dumm aus der knappen Wäsche gucke. Das stört auch mich massiv.

Das tönt pessimistisch.

Ich frage mich schon, was wir im politischen Prozess falsch gemacht haben. Manche Frauen engagieren sich nach wie vor wenig für ihren Beruf, machen sich kaum Gedanken, ob sie ihr Leben selber finanzieren können, heiraten, bekommen Kinder, lassen sich scheiden. Und dann erwarten sie, dass der Staat einspringt. Allerdings sind die Frauen mit dieser Haltung nicht allein. Für alles und jedes gibt es heute Auffangnetze. Die Sozialdemokratisierung der Gesellschaft schreitet munter voran. Selbstverantwortung ist da nicht mehr grossgeschrieben. Ob uns das guttut?

Also gar nichts erreicht?

Wir haben viel erreicht. Aber mit Gesetzen allein ändert man jahrhundertealte Vorstellungen, wie Männer und Frauen zu sein haben, halt nicht. Das braucht Zeit. Es wird noch einige Generationen dauern. Ich bleibe optimistisch, wir haben nicht das Ende der Entwicklung erreicht. Und wir müssen die Männer noch mehr einbinden und nicht so tun, als wären sie Unmenschen. Was soll denn das, für alles und jedes die «alten, weissen Männer» verantwortlich zu machen? Das ist auch Rassismus. Wir sollten stolz und dankbar sein für das, was wir erreicht haben. Vor allem, wenn wir uns international vergleichen. Und der Kampf geht weiter!

Als Regierungsrätin haben Sie sich besonders für die Ausbildung der Mädchen eingesetzt. Was wäre Ihr höchstes Ziel in der Frauenförderung?

Das Ziel ist erreicht, wenn wir genauso durchschnittlich sein dürfen wie die Männer! Diese Aussage ist befreiend und zugleich erschütternd. Als ich Regierungsrätin wurde, schauten Männer und Frauen(!) genau hin. Was hat die Gisi an? Wie sitzt ihre Frisur, ihre Kleidung? Wenn man in einem Regierungsteam die einzige Frau ist, ist man schon sehr ausgestellt. Das kostet zusätzlich Kraft. Ich habe mich im Vergleich zu meinen Kollegen vor allem von den Medien-Männern (Frauen gab es da ja kaum in wichtigen Positionen) benachteiligt gefühlt. Wir Frauen mussten doppelt so gut sein wie die Männer. Deshalb wollte ich alles perfekt machen. Ich musste erst mühsam lernen, aus dieser Perfektionismusfalle auszubrechen.

Haben Sie eigentlich auch für das Frauenstimmrecht gekämpft? Als es 1971 eingeführt wurde, wurden Sie erwachsen und durften gleich abstimmen.

Nein. Ich kann mich auch nicht daran erinnern, dass wir unter Freundinnen darüber diskutiert hätten. Ich kann mich aber an meine Mutter erinnern, die mir resolut befahl: «Mädchen, jetzt gehst du abstimmen!» Das habe ich gemacht und habe in meinem ganzen Leben nur wenige Abstimmungen verpasst.

Was hat denn Ihr politisches Interesse geweckt?

Nach der Matur und einem kurzen Abstecher an die Uni arbeitete ich in der Werbe- und Verlagsbranche und als Lehrerin. Nach einigen Jahren sah ich ein, dass ich so auf keinen grünen Zweig komme. Das im Gegensatz zu den Männern, die meist früh wissen, was und wohin sie wollen. Als ich 34 Jahre alt war, begann ich deshalb Jura zu studieren und legte danach das Patent als Fürsprech und Notarin ab. Ausgerechnet der Professor für Eherecht gab uns Frauen während des Studiums zu verstehen, dass wir nicht an die Uni gehören. Das hat mich politisiert!

War es Ihr Ziel, ein politisches Amt zu übernehmen?

Nein. Ich hatte in der FDP dafür gearbeitet, dass sich mehr Frauen das politische Rüstzeug holen und sich für ein Amt aufstellen lassen. 1991 wurde ich von der Ortspartei Hochwald als Kandidatin für den Gemeinderat angefragt. So sagte ich mir, dass ich ja nicht bloss die anderen ermuntern konnte. Nun war die Zeit gekommen, es vorzumachen.

Sie waren die zweite Regierungsrätin im Kanton Solothurn, und wurden 1997 mit den allermeisten Stimmen in den Rat gewählt. Das war eine Sensation! Wie kam es dazu?

Ab 1991 war ich Juristin im Solothurner Baudepartement, das damals von Regierungsrätin Cornelia Füeg geleitet wurde. Ich hatte im ganzen Kanton zu tun und war bekannt. Auch hatte ich viel Parteiarbeit geleistet. Als ich von der FDP gefragt wurde, ob ich kandidieren wolle, habe ich mir das ein ­Wochenende lang überlegt, bevor ich zusagte. Meine damalige Chefin, die amtierende Regierungsrätin Cornelia Füeg, war mein Rollenmodell. Ich hatte viel von ihr gelernt. Ich wollte die Chance packen!

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