Die Sprache im Schüttelbecher
Kommenden Mittwoch ehrt die Anagramm-Agentur die Dada-Bewegung anlässlich ihres 100-Jahr-Jubiläums. Eine literarische Soirée im Kulturzentrum neuestheater.ch, die Sprache zu Akrobatik werden lässt.

Lukas Hausendorf
Was verbirgt sich hinter den Wörtern? In Dan Browns Bestseller «Der Da Vinci Code» dechiffriert Phänomenologe Robert Langdon einen kryptischen Text des ermordeten Kurators Jacques Saunière, der sich als Anagramm herausstellt. So wird aus scheinbar sinnlosen Phrasen ein entscheidender Hinweis. Im Buch geschieht das innert Minuten. «Das ist natürlich unmöglich», sagt Thomas Brunnschweiler. Der Reinacher Anagrammist lädt zusammen mit der Schweizer Anagramm-Agentur kommenden Mittwoch zur Anagramm-Lesung im Foyer des Kulturzentrums neuestheater.ch. Anlässlich von 100 Jahre Dada wird aus dem Jubiläumsbüchlein «Blau dies Lachen» gelesen, in welchem Dada-Sätze oder -Gedichttitel anagrammiert wurden. «Wir fühlen uns als die legitimen Dada-Nachfolger», sagt Brunnschweiler. Diese Verknüpfung erschliesst sich aber nicht auf den ersten Blick.
So ist das Lautgedicht Karawane von Hugo Ball eben nicht gerade semantisch verständlich. Eine Zeile wie «jolifanto bambla ô falli bambla» ist ein rein expressiver Umgang mit Sprache. Derweil die Anagrammisten durchaus darum bemüht sind, Buchstaben und Semantik zu rearrangieren. Etwa wenn aus «Wochenblatt» «wo Nacht lebt» oder «Blatt ohne WC» wird. Das Anagrammieren ist gewiss keine humorlose Angelegenheit, an der sich nur Linguisten erfreuen können. Brunnschweiler verpackt das Sprach-Spiel in eine Frage: «Was kann man mit Sprache machen, wenn man sie schüttelt?» Darüber will die Soirée Aufschluss geben. Das Who-is-Who der Schweizer Anagramm-Szene wird lesen. Das sind neben Brunnschweiler Carol Baumgartner, Heini Gut, Anna Isenschmid, Ueli Sager und Esther Spinner. Auch die Schauspielerin Sandra Löwe wagt sich in die Welt hinter den Wörtern.
Schnitzel weit (Zwischentitel)
Anagramme sind so alt wie die Sprache selbst. Theoretisch. Das erste historisch verbriefte Anagramm findet sich in einem Dialog von Platon, der sich fragt, ob es Zufall sein kann, dass (H)éra aus Aér (Luft) anagrammiert werden kann. Gerade bei Namensanagrammen gelte oft «nomen est omen», sagt Brunnschweiler. Etwa bei «Klage Marlene» (Angela Merkel) oder «Zecher Christi Feind» (Friedrich Nietzsche).
In der Literatur fand das Anagramm aber erst im 20. Jahrhundert über Sigmund Freuds Psychoanalyse und den Surrealismus Eingang. Und Literatur kann daraus wirklich werden. So hat Brunnschweiler zusammen mit Heini Gut den Anagramm-Roman «Die Meistererzählung» geschrieben, der formtreu auf 3600 Zeilen kommt. Wahrscheinlich ein Weltrekord. Den fürs längste deutsche Anagrammgedicht hat er schon – von Guinness beglaubigt.