Die beste Rockröhre der Schweiz spielt am Wide-Openair

Seraina Telli hat alles, was die Rockmusik verlangt. Mit ihrem neuen Album visiert sie die Chartspitze an.

«Es herrscht immer noch ein konservatives Frauenbild und Rollenverständnis vor»: Die Musikerin Seraina Telli hat im männerdominierten Genre mit Vorurteilen zu kämpfen. Foto: OLIVERBAER.COM
«Es herrscht immer noch ein konservatives Frauenbild und Rollenverständnis vor»: Die Musikerin Seraina Telli hat im männerdominierten Genre mit Vorurteilen zu kämpfen. Foto: OLIVERBAER.COM

«Wir wollen nicht gleich sein wie die Männer, aber wir wollen, dass man uns denselben Respekt entgegenbringt», sagt Seraina Telli. Sie ist eine der wenigen Sängerinnen in der Schweiz, die sich der männerdominierten Rockmusik verschrieben haben. Dem harten Rock. «In-Your-Face-Rock» nennt sie ihre fadengerade Variante des Hard Rock, der mit Grunge- und Funk-Elementen durchsetzt ist. Vor einem Jahr hat die schrille Sängerin mit den farbigen Haaren überrascht, als sie mit ihrem Debütalbum gleich auf Platz 2 der Schweizer Album-Hitparade stürmte – geschlagen nur von Superstar Taylor Swift. Mit ihrem neuen Album «Addicted To Color», das am 25. August erschienen ist, visiert sie Platz 1 an. Stilistisch hat sie wenig ­verändert. Es ist energiegeladener, straigh­ter Rock mit knackigen Refrains. Oldschool, relativ roh und natürlich produziert. Die Sensation ist aber die Stimme von Seraina Telli. Eine Stimme, die alles kann, was Rock verlangt: schreien, fauchen, kratzen, aber auch schluchzen. Dabei verfügt sie über einen erstaunlichen Stimmumfang. Haben andere auch. Die Kraft und die Wucht ihres Organs hebt sie aber von ihnen ab. In der Schweiz ist Seraina Telli einzigartig. Die Rock­röhre Nr. 1.

Die 33-jährige Sängerin und Musikerin, die heute mit ihrem Partner in Luzern wohnt, ist in der Szene keine Unbekannte. Vor zehn Jahren brach sie die Hochschule für Kunst, Design und populäre Musik (HKdM) in Freiburg im Breisgau ab und setzte voll auf ihre Musikkarriere. Sie gründete zuerst die Progressive-Rock-Band Dead Venus und 2015 mit der Gitarristin Romana Kalkuhl aus Brugg die Power-Metal-Band Burning Witches, die ausschliesslich aus Frauen bestand. Die brennenden Hexen schlugen ein. Das Album «Hexenhammer», das im November 2018 erschien, erreichte Platz 21 in der Schweiz und den stolzen 43. Platz in den deutschen Albumcharts.

Corona machte einen Strich durch die Karriereplanung

Doch die Leadsängerin fühlte sich in der Band zunehmend unwohl. «Ich wurde in eine Rolle gedrängt, die ich nicht sein wollte. Ich bin Musikerin, nicht Metallerin. Irgendwie habe ich da nicht mehr reingepasst», erklärt sie rückblickend. Sie gab den Rücktritt und begann eine Solokarriere. 2019 erschien «Bird Of ­Paradise» unter dem Namen Dead Venus: ein rhythmisch vertracktes Opus, das aus der konventionellen Songform ausbrach – wie es sich für das Progressive- Rock-Genre gehört. Das Echo war gut, eine Europa-Tournee geplant. Doch dann kam Corona und machte wie so vielen einen dicken Strich durch die Karriereplanung. Doch die ehrgeizige Musikerin blieb nicht untätig. Ein weiteres Album, «Flowers & Pain» erschien 2021. Zu früh, die Pandemie hatte die Musikszene fest im Griff.

Dann komponierte sie den Rock-Knaller «I’m Not Sorry». Ihr Management war so begeistert, dass es sie ermutigte, weitere Songs in diesem Stil zu schreiben. Das deutsche Label Metalville, das unter anderen auch die deutsche Rock-Legende Doro Pesch unter Vertrag hat, veröffentlichte das Debüt. Es ging Schlag auf Schlag.

Sowieso: Geduld scheint nicht ihre Sache zu sein. Schon bei ihrer Geburt hatte es die kleine Seraina so eilig, dass es ihre Mutter nicht mehr ins Spital Baden schaffte. Seraina kam zu Hause in Untersiggenthal zur Welt und wuchs ab neun in Villigen als Drittälteste von sechs Geschwistern in der Grossfamilie Telli auf. «Bei uns war immer etwas los, und Musik war bei uns Alltag», sagt sie. Die Mutter hat gesungen, und Vater Bruno Telli ist noch heute als Bassist in der Region Baden unterwegs. Schon früh sang sie in der Band ihres Vaters. Eine Telli Family, eine Schweizer Version der Kelly Family, gab es aber nie. «Ich wollte schon immer singen und Rock-Sängerin werden», sagt sie. Sie hatte aber zunächst keine Ahnung, wie sie ihren Traum umsetzen sollte. Im Genre gab es kaum Vorbilder, erst recht nicht in der Schweiz. Janis ­Joplin, Suzi Quatro und Joan Jett hat sie nicht erlebt. «Ich habe mich deshalb an Männerstimmen orientiert.» Erst später ist sie auf Sängerinnen wie Doro oder Lzzy Hale von der US-Band Halestorm gestossen.

Frauen blieben seit Suzi Quatro stets die Ausnahme

Frauen im Rockgenre gibt es schon lange. Vor 50 Jahren stürmte eine 152 Zentimeter kleine Sängerin mit hoher durchdringender Stimme die Hitparaden: Suzi Quatro. Mit ihren Hits «Can The Can» und «48 Crash» zählte sie zu den erfolgreichsten Acts des Jahres in der Schweiz. Es folgten Joan Jett, Blondie und Patti Smith. Aber im männerdominierten Rockgenre blieben sie die Ausnahme. Erst recht in der Schweiz, wo Rocksängerinnen Mangelware waren. Telli beklagt, dass sich Frauen im Rock zu wenig gegen das veraltete Rollenverständnis gewehrt hätten.

Seraina Telli betont, dass sie als Rocksängerin nie benachteiligt war oder sogar diskriminiert wurde. Im Gegenteil: «Als Frau fällst du auf. Gerade, weil es so wenige gibt», sagt sie. Das Genre sei immer noch stark «von Männern geprägt». Viele begegnen musizierenden Frauen immer noch «mit Vorbehalten, Vorurteilen und Skepsis». «Gewisse Veranstalter können es zum Beispiel nach wie vor nicht nachvollziehen, dass ich die Bandleaderin bin und nicht der Schlagzeuger hinter mir. Oder gewisse Techniker können es nicht nachvollziehen, dass ich als Frau etwas von Technik verstehe», erzählt sie. Es ist leider immer noch so: In weiten Kreisen der Szene sind Frauen immer noch mehr als Groupies geschätzt. Nicht als Künstlerin und schon gar nicht als Band­-lea­derin. «Es herrscht immer noch ein ­konservatives Frauenbild und Rollen­verständnis vor», sagt Telli, «die Frau hat hübsch zu sein, soll vor der Bühne stehen und warten, bis der Rockmusiker seine Gitarre ausgestöpselt hat.»

Selbstbewusst, rebellisch und widerborstig

Seraina Telli kommt in Fahrt: «Ich erwarte keine Sonderbehandlung. Eben nicht! Es geht um die Gleichstellung von Musikerinnen und Musikern.» Sie gibt aber zu, dass Frauen teilweise eine Mitschuld haben. Es gebe immer noch zu viele Frauen im Rock und Metal, die nur auf den Frauenbonus setzten und sich nicht weiterentwickelten. «Ich will mit meiner Musik Erfolg haben, weil ich gut bin und nicht, weil ich eine Frau bin», sagt sie dezidiert. «Gleichberechtigung» sei «noch nicht in allen Köpfen angekommen».

Selbstbewusst, rebellisch und widerborstig geht Seraina Telli ihren Weg. «Wenn mir etwas nicht passt, dann kann ich nicht schweigen», sagt sie. Die extrovertierte Musikerin gehört auch zu einer neuen Generation der Rockmusik, die sich vom Alkohol- und Drogenimage des Genres abwendet. «Addicted To Color» singt sie im neuen Anti-Drogen-Lied. Sie trinkt gern mal ein Bier oder ein Glas Wein. Aber um es zu geniessen, nicht um sich zuzudröhnen. «Ich will die Kontrolle über mein Leben haben», sagt sie und ist überzeugt, dass Drogen und Alkohol die Kreativität beeinträchtigen. Sie lebt deshalb gesund, schaut auf die Ernährung und ihre Fitness. Sie ist überzeugt: «Musik braucht weder Drogen noch irgendwelche Aufputschmittel.»

Rock-Genuss am Wyde-Openair

Freitag, 1. September
18.30 – 19.30: Beth Wimmer Band
20.15 – 21.15: Oli Blessinger
22.00: Ray Wilson (Ex-Genesis)

Samstag 2. September
18.30 – 19.30: Posh
20.15 – 21.15: Seraina Telli
22.00: Shades Of Purple

Mehr Infos unter wydekantine.ch/wyde-openair

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