Carl Lutz: Ein fast vergessener Retter im Zweiten Weltkrieg

Das Neue Theater Dornach bringt die Heldentat des Schweizer Diplomaten Carl Lutz auf die Bühne, der gegen Ende des Zweiten Weltkriegs über 50000 jüdische Menschen in Ungarn vor der Deportation rettete.

1965: Carl Lutz in Bern. Foto: KEYSTONE/Str

1965: Carl Lutz in Bern. Foto: KEYSTONE/Str

Schlüpft in die Rolle von Carl Lutz: Schauspieler Jonas Gygax. Foto: zvg

Schlüpft in die Rolle von Carl Lutz: Schauspieler Jonas Gygax. Foto: zvg

Heuer jährt sich das Ende eines der schrecklichsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte zum 80. Mal. Im Zusammenhang mit den unvorstellbaren Grausamkeiten des Holocausts gibt es aber genauso herausragende Akte der Menschlichkeit zum Schutz von Jüdinnen und Juden. Eine der grössten und bedeutendsten zivilen Rettungsaktionen orchestrierte der Schweizer Diplomat Carl Lutz, dessen bewegtes Leben im Jahr 1895 im beschaulichen Walzenhausen im Appenzell begann. Als eines von zehn Kindern wuchs er in einer frommen Familie auf, die der Methodistenkirche zugewandt war. Der Glaube und die bei der methodistischen Kirche strenge Ausrichtung der Lebensführung nach biblischen Grundsätzen sollten ihn stark prägen. So wollte er in jungen Jahren bereits Pfarrer worden – doch es kam anders.

Er sei ein sehr ruhiges und zurückhaltendes Kind gewesen, dessen Schüchternheit zur Aufgabe dieses Berufswunsches führte. So führte sein Weg nicht zur Kanzel, sondern in die USA, wo er nach einer kaufmännischen Lehre und einem Jurastudium schlussendlich im diplomatischen Dienst landete.

Nach Stationen in Saint-Louis, Jaffa, Berlin und Bern wurde er als Vizekonsul an die Botschaft in Budapest versetzt. Dort vertrat er die Abteilung «Fremde Interessen», mit der die Schweiz als neutrale Schutzmacht die britischen und alliierten Interessen in Ungarn vertrat.

Mangelnde Anerkennung

Als im März 1944 die deutsche Wehrmacht in Ungarn einfiel, bedeutete das nichts weniger als die direkte Lebensbedrohung für die jüdisch-ungarische Bevölkerung. Innert weniger Monate wurden in den Provinzen fast 400000 Jüdinnen und Juden – rund die Hälfte der gesamten jüdischen Bevölkerung in Ungarn – ausgelöscht. Doch Lutz konnte gemeinsam mithilfe seiner damaligen Ehefrau Gertrud sowie einiger enger Vertrauter und jüdischer Organisationen eine beispiellose Rettungsmission durchführen, die über 50000 jüdische Menschen vor der Deportation durch die Nazis bewahrte. Mit grossem Verhandlungsgeschick und klugen Entscheidungen gelang es ihm, ein Vielfaches der 7800 Schutzbriefe, die für ausreisewillige Jüdinnen und Juden nach Palästina kontingentiert waren, auszustellen. So interpretierte und handhabte er die Anzahl der Schutzdokumente als Familieneinheiten und nicht als Einzelpersonen und trug bis zu 1000 Menschen in von ihm geschaffene Kollektivpässe ein. Dabei handelte er ohne direkte Absprache mit Bundesbern.

Nach weiteren Jahren im Ausland kehrte Lutz in die Schweiz zurück, wo er 1975 verstarb. Bis zum Schluss sei er verbittert und enttäuscht darüber gewesen, dass eine angemessene Würdigung durch die offizielle Schweiz ausblieb. Im Ausland folgten zahlreiche Auszeichnungen, doch in der Schweiz dauerte es Jahrzehnte, bis schrittweise nennenswerte Anerkennungen erfolgten.

Premiere mit Zeitzeugin

Das Neue Theater Dornach greift nun das Leben von Lutz auf und stellt seine unvergleichliche Rettungstat ins Zentrum des Stücks «Das Glashaus». Der Titel entspringt der Bezeichnung des Bürogebäudes, von wo aus Lutz mit seinen Verbündeten operierte und das sich in einer ehemaligen Glaserei befand. Gerettet wurden damals auch Familienmitglieder des Theaterleiters und Regisseurs Jonas Darvas, der über die Beweggründe sagt: «Ich nehme in der Schweiz oft eine gewisse Distanz zu diesen Themen wahr, als hätte das nicht viel mit uns zu tun. Durch die Geschichte von Carl Lutz kann so ein vielleicht direkterer Bezug geschaffen werden.»

Konkret schlüpft Schauspieler Jonas Gygax in die Rolle eines fiktiven Carl-Lutz-Museums-Führers, der das Publikum auf einen Rundgang mitnimmt und dabei Stück für Stück in der Geschichte versinkt und verschiedene Perspektiven verschwimmen lässt. «Mehr möchte ich nicht verraten», sagt Regisseur Darvas im Hinblick auf die Premiere am 21. November. Etwas Spezielles muss jedoch erwähnt werden: Nach der Erstaufführung wird Agnes Hirschi für ein Nachgespräch auf die Bühne kommen. Die 87‑Jährige ist die Stieftochter von Carl Lutz und wurde in Ungarn geboren. Lutz stellte damals ihre Mutter als Haushaltshilfe ein und rettete ihre Familie so vor der Deportation. Später heirateten die beiden und kamen mit Agnes in die Schweiz, die ihr Leben in Bern als Journalistin verbrachte. Am Sterbebett ihres Stiefvaters habe sie ihm versprochen, weiter in seiner Sache an die Naziverbrechen und seine Rettungsaktion zu erinnern, sagt Hirschi zum Wochenblatt.

Dafür ist sie bis heute unermüdlich unterwegs – kurz vor dem Gespräch mit dem Wochenblatt beispielsweise in Paris bei der Präsentation eines historischen Comics über Lutz’ Verdienst. Und auch das Stück im Neuen Theater dürfte wohl seinen Beitrag zur Erfüllung ihrer Mission leisten.

Premiere und Uraufführung «Das Glashaus»: 21. November im Neuen Theater Dornach. Weitere Vorstellungsdaten und Tickets: neuestheater.ch

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