«Wir haben jetzt schon unzählige Bewerbungen aus der ganzen Region»

Seit vergangener Woche arbeiten Pinar, Luzi und Jörg als ausgebildete Kaffeespezialisten im Café Einzigartig. Sie sind die ersten Absolventen eines Pilot-Ausbildungsprogramms für Menschen mit einer Behinderung.

Latte Art ist ihr Spezialgebiet: Mit dem Latte-Art-Stäbchen zeichnet die frischgebackene Kaffeespezialistin Pinar am liebsten Hundepfoten oder Sonnen in den Kaffee ihrer Gäste. Foto: Benedikt Kaiser

Die Präzisierung ist Tobias Seewer, Initiator des Ausbildungsprogramms für Menschen mit einer Behinderung im Café Einzigartig, wichtig: Die seit vergangener Woche fertig ausgebildeten Pinar, Luzi und Jörg seien genau genommen nicht nur Baristas, sondern «Kaffeespezialisten». «Während das Wort ‹Barista› lediglich einen Menschen hinter einer Bar beschreibt, haben Pinar, Luzi und Jörg durch ihre Ausbildung ein umfassendes Wissen rund um das Produkt Kaffee aufgebaut und sind daher richtige Kaffeespezialisten.»

Dass dem tatsächlich so ist, zeigt sich spätestens, wenn man die drei im Umgang mit der Kaffeemaschine beobachtet. Gekonnt werden Bohnen gemahlen, Milch geschäumt und nebenbei sämtliche Arbeitsschritte für das Wochenblatt mit den entsprechenden Fachbegriffen erklärt. «Das Pilotprojekt ist ein Erfolg», kommentiert ein sichtlich stolzer Seewer.

Mit dem erfolgreichen Abschluss des ­Pilot-Ausbildungsprogramms, das gemeinsam vom Wohnheim Wydehöfli, vom Café Einzigartig und von den «Kaffeemacher:innen» aus Basel organisiert wurde, ist Seewer mit seiner Mission, zu beweisen, dass alle Menschen mit der richtigen Unterstützung einen Mehrwert zur Wirtschaft beitragen können, einen Schritt weiter. «Aktuell gibt es in der Schweiz kein Ausbildungssystem für Menschen in der Behindertenhilfe, wodurch es für sie unmöglich ist, auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuss zu fassen», erklärt er.

Ausbildungsprogramm ist erst die halbe Miete

Das Ausbildungsprogramm solle dabei helfen, dies zu ändern, denn die Inklusion von Menschen mit einer Behinderung in den ersten Arbeitsmarkt funktioniere. «Das Café Einzigartig ist der Beweis!» Bei allem Enthusiasmus ist sich Seewer aber dessen bewusst, dass Ausbildungsprogramme wie das von ihm initiierte erst die halbe Miete sind. «Die Aus­bildung von Menschen mit einer Behinderung bringt an sich noch keinen wirtschaft­lichen Mehrwert.» Sie befähige allerdings, dies später mit einer entsprechenden Stelle zu tun. Hier hapere es aber noch, erzählt Seewer weiter: «Derzeit gibt es zu wenig Betriebe mit inklusiven Stellen.»

Damit sich dies möglichst schnell ändert, bietet Seewer interessierten Betrieben seine Expertise an. «Eine inklusive Stelle im eigenen Betrieb zu schaffen, bedeutet gleichzeitig eine Bereicherung für das eigene Team und Unternehmen sowie das Übernehmen von Verantwortung und einer Vorbildfunktion», bewirbt er das Projekt.

Frage der Finanzierung

Neben neuen Arbeitsplätzen für Menschen mit einer Behinderung ist Seewer auch auf finanzielle Unterstützung angewiesen, damit sein Ausbildungsprogramm nächsten Herbst wie geplant in die zweite Runde gehen kann. «Die Pilotphase wurde vollständig durch das Wydehöfli, die ‹Kaffeemacher:innen› und Spendengelder finanziert.» Dies sei für die Fortsetzung des Programms so nicht mehr machbar. Seewer hofft, dass die Finanzierung möglichst bald geregelt ist. Das Interesse am Ausbildungsprogramm seitens der Menschen mit einer Behinderung sei nämlich riesig. «Wir haben jetzt schon unzählige Bewerbungen aus der ganzen Region.»

Für Pinar, Luzi und Jörg ist die Ausbildung trotz Abschluss noch nicht endgültig beendet. Er habe bereits verschiedene Weiterbildungen angedacht, verrät Seewer schmunzelnd. Davon wissen die drei aber noch nichts. Erst einmal müssen sie sich an das Gefühl gewöhnen, mit der Grundausbildung fertig zu sein. «Es ist noch ein bisschen komisch», gibt Pinar lachend zu, bevor sie sich gleich wieder der Kaffeemaschine widmet.

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