«Wir brauchen mehr Schweiz, nicht weniger»
Tina Müller (56) ist seit 2023 CEO von Weleda. In kurzer Zeit hat sie das Unternehmen transformiert: Der Umsatz stieg, der Gewinn verdoppelte sich. Im Interview spricht die Deutsche über ihr Erfolgsrezept, erklärt die Rolle der Anthroposophie im Unternehmen und verrät, ob der Hauptsitz in Arlesheim bleibt.

Frau Müller, welches Weleda-Produkt haben Sie heute Morgen verwendet?
«Meine Bakterienkulturen». Darin sind wichtige Bakterien für den Darm enthalten. Es ist ein Nahrungsergänzungsmittel, das es ab Herbst in der Schweiz zu kaufen geben wird. Und gestern Abend habe ich Bryophyllum-Tabletten genommen für besseren Schlaf. Die kaufe ich übrigens regelmässig in der Apotheke beim Pfeffingerhof in Arlesheim.
Sie haben den Posten als CEO von Weleda 2023 übernommen. Zuvor arbeiteten Sie unter anderem bei Douglas und bei Opel. Was hat Sie zur Weleda gezogen?
Die Initialzündung war der Besuch des Heilpflanzengartens in Schwäbisch Gmünd. Dadurch wurde mein Interesse an Weleda sehr bestärkt. Dort werden über 800 Heilpflanzen angebaut. Zu erleben, wie Weleda arbeitet und wie wichtig die Qualität des Bodens und biodynamischer Anbau für gesunde Pflanzen sind, hat mich tief beeindruckt. Ich kenne kein anderes Unternehmen, das es mit der Qualität seiner Produkte so ernst meint. Weleda nimmt das Commitment, wirklich reine Naturkosmetik herzustellen, sehr ernst. Das hat mich gerade in Kombination mit der Anthroposophischen Medizin überzeugt. Denn die Anthroposophische Medizin betrachtet Körper, Seele und Geist ganzheitlich und diesen holistischen Ansatz halte ich für sehr modern. Schönheit und Gesundheit sind zwei Seiten der gleichen Medaille.
Was hat Sie damals an Weleda überrascht und was haben Sie als Erstes verändert?
Mich hat sehr überrascht, dass Weleda in der Schweiz und in Deutschland keinen Onlineshop hatte. Deswegen sind wir die Digitalisierung schnell angegangen. Im Frühjahr 2024 haben wir unsere Onlineshops in Deutschland und der Schweiz gestartet. Sie entwickeln sich sehr erfolgreich. Ausserdem verkaufen wir unsere Produkte nun viel stärker auch auf Onlineplattformen wie Amazon oder bei Pharma-Onlinehändlern.
Der Nettoumsatz des Unternehmens stieg 2024 laut Geschäftsbericht um 8,6 Prozent auf 456 Millionen Franken – der Gewinn hat sich mehr als verdoppelt. Was ist Ihr Erfolgsrezept?
Das sind mehrere Punkte. Erstens: Der Kosmetikmarkt funktioniert über relevante Neuprodukte, die den Unterschied machen. Im vergangenen Jahr haben wir mit «Blauer Enzian & Edelweiss» eine Anti-Aging-Linie eingeführt, bei der wir gezielt mit unserer Schweizer Herkunft und dem Claim «Swiss Natural Science» geworben haben. Die Produkt-Kampagne und der für uns neue Eintritt in den Anti-Aging-Markt haben den Umsatz bei Weleda stark getrieben. Der zweite Hebel ist die Digitalisierung. Das betrifft einerseits E‑Commerce, andererseits die Kommunikation auf Social Media, besonders auf Plattformen wie Instagram oder Tiktok. Weleda hat sehr loyale Kundinnen und Kunden im fortgeschrittenen Alter. Es fehlte bislang an Nachwuchs. Wir haben also ein Digital Lab ins Leben gerufen: Da kreieren wir unsere eigenen Inhalte für Social Media.
Wir arbeiten auch viel mehr mit Influencerinnen und Influencern zusammen – die überzeugen die jungen Zielgruppen stark, weil sie sehr authentisch mit den Produkten umgehen. Das Schönste sind Influencer-Posts, die wir nicht bezahlt haben, wie etwa kürzlich die Empfehlungen von Bella Hadid, Victoria Beckham oder Schauspielerin Drew Barrymore. Die dritte Säule ist Internationalisierung. Wir sind fast überall auf der Welt präsent, mit gutem Wachstumspotenzial. Skin Food funktioniert in vielen Märkten, das ist eines unserer Top-Produkte.
Im März kommunizierten Sie die Zusammenarbeit mit der schwedischen Prinzessin Madeleine. Wird Weleda damit langsam zur Luxusmarke transformiert und werden die Produkte insgesamt teurer?
Die Kooperation kam zustande, nachdem sich Prinzessin Madeleine an uns gewandt hatte. Sie beobachtete, dass besonders junge Mädchen Beauty-Produkte verwenden, die für ihre Haut ungesund sind, weil sie etwa die Hautbarriere zerstören. Also haben wir eine Linie entwickelt, die trendig ist, aber die Haut zugleich schützt und ihr etwas zurückgibt. Diese Linie liegt in einem anderen Preissegment als unsere normale Babypflege und ist vornehmlich in Parfümerien erhältlich. Das machen wir ganz bewusst, weil wir mit Parfümerien in einen neuen Distributionskanal gehen wollen. Unsere regulären Produkte werden aber nicht teurer.
Kürzlich wurde das Design der Produkte angepasst, auch das Logo wurde verjüngt. Weshalb haben Sie dieses prägnante Merkmal der Marke verändert?
Das Weleda-Logo wurde sehr lange nicht mehr modernisiert. Ich sage immer: «Eine Marke, die nicht mit der Zeit geht, geht mit der Zeit.» Wir haben das Logo verändert, ohne unsere Werte und Historie zu vernachlässigen. Man erkennt die anthroposophische Herkunft nach wie vor, der Schriftzug ist aber moderner und eleganter geworden.
Eine Besonderheit von Weleda sind die biologisch-dynamischen Heilpflanzengärten, die das Unternehmen selbst bewirtschaftet. Dort werden Inhaltsstoffe für die eigenen Kosmetik- und Pharmaprodukte angebaut. Lohnt es sich, diese Gärten weiterzubetreiben?
Natürlich könnte man die Inhaltsstoffe für unsere Produkte preiswerter bekommen – das ist allerdings nicht unsere Philosophie. Denn nur jene Pflanzen, die in gesundem Boden wachsen, weisen ein hervorragendes Mikrobiom auf. Wir verwenden keine Spritzmittel, keinen künstlichen Dünger oder dergleichen. Natürlich ist diese Form der Produktion teurer als bei herkömmlicher Naturkosmetik oder pflanzlichen Arzneimitteln. Deswegen liegen unsere Produkte auch eher im oberen Preissegment. Die Qualität unserer Inhaltsstoffe ist für uns aber nicht verhandelbar.
Weleda setzt auf hohe Standards bei der Nachhaltigkeit. Dieser Markt boomt, längst verwenden auch andere Marken Biolabels. Wie wollen Sie das Unternehmen von Mitbewerbern abheben?
Bei Weleda gilt Nachhaltigkeit in Kombination mit der Natur, sprich: Die Natürlichkeit unserer Produkte ist unsere Geschäftsgrundlage. Der Kern unserer Nachhaltigkeit sind das Produkt und die Formel an sich. Da differenzieren wir uns stark von anderen Marken. Alle anderen Hersteller, die mit Nachhaltigkeit werben, können nicht diese Art der Naturbelassenheit ihrer Produkte aufweisen – ausser vielleicht Dr. Hauschka. Wir haben keine Parabene, Silikone, Paraffine oder unnatürlichen Düfte in unseren Produkten – wir verzichten komplett auf die herkömmliche Chemie.
Rund 77 Prozent der Stimmrechte von Weleda gehören der Allgemeinen Anthroposophischen Gesellschaft und der Klinik Arlesheim. Welche Vor- und Nachteile bringt das mit sich?
Es hat den grossen Vorteil, dass zwei starke Aktionäre im Verwaltungsrat vertreten sind und dadurch ein enger Austausch stattfindet und die Abstimmung mit den beiden Aktionären erleichtert wird. Zusammen mit dem Verwaltungsrat sagen wir immer: Weleda ist nicht die Anthroposophische Gesellschaft. Wir sind von der Anthroposophie inspiriert.
Hand aufs Herz: Wie viel Anthroposophie steckt heute noch in der Marke Weleda?
Das kann man schlecht messen, aber man spürt die Anthroposophie in der Grundhaltung des Unternehmens. Das Konzept von Körper, Seele und Geist, das starke Wertefundament, ist allgegenwärtig. Die Mitarbeitenden sind sehr respektvoll zueinander, es wird viel diskutiert. Wir mögen es, zusammen eine Meinung zu bilden und dann zu entscheiden. Ich selbst kam nicht von der anthroposophischen Seite, habe aber einen sehr offenen Zugang dazu. Ich bin noch keine Expertin auf diesem Gebiet, aber das muss ich auch nicht sein. Ich bringe Wirtschaftsexpertise mit, damit können wir Weleda zukunftsfähig machen.
Weleda wurde 1921 in Arlesheim gegründet. Was verbinden Sie persönlich mit dem Ort?
Ich arbeite in Arlesheim und wohne unter der Woche in einer Wohnung im Dorfzentrum, sofern ich nicht auf Geschäftsreisen bin. Arlesheim ist pittoresk: Wenn ich aus dem Fenster schaue, meine ich manchmal fast, ich lebe in einem Schweizer Skiort. Es ist ein fantastischer Ort und wenn ich nach der Arbeit in der Umgebung spazieren gehe, dann entspannt mich das ungemein.
Wird denn der Hauptsitz des Unternehmens auch künftig in Arlesheim bleiben?
Natürlich, der Hauptsitz bleibt in Arlesheim. Wir betonen die Schweizer Herkunft von Weleda jetzt deutlich stärker. Wir möchten mehr Schweiz, nicht weniger.