Vertracktes Spurenlabyrinth
Mit «Kollers Handschuh» hat Jürg Seiberth seinen ersten Kriminalroman vorgelegt: szenisch verspielt, mosaikartig, personalintensiv, sympathisch-skurril und voller Ironie.

Thomas Brunnschweiler
Fast jeder hat eine Leiche im Keller. Und deshalb kennt fast jeder jemanden, der eine im Keller hat. Das ist die einleuchtende Ausgangslage des Buches von Jürg Seiberth, das am 22. April bei einer Vernissage im Neuen Theater am Bahnhof vorgestellt wurde.
Den Erzählfaden von Erpressungen, unheimlichen Morden, einem Cyberdog und schillernden Figuren lässt der Arlesheimer Autor den Einsiedler Hermengild spinnen. Dessen Schwester Goswintha, eine Coiffeuse mit viel Insiderwissen über die Basler High Society, hat es faustdick hinter den Ohren. Als Heiner Fischer, Mitglied des Basler Schnitzelbank-Trios «Die Laubfrösche», mit sauberem Herzdurchschuss und einem abgetrennten Zeigefinger aus dem Rhein geborgen wird, geht das Rätselraten über den Täter los und bald die Angst vor dem nächsten Mord um. Am Schluss scheint der Fall gelöst. Nur die aufmerksamen Leserinnen und Leser wissen es besser.
Erzählen als Lebensthema
Jürg Seiberth schafft mit der Durchdringung von Ich-Erzählung und auktorialem Gestus eine ironische Distanz zum Geschehen. Das Buch ist mehr als ein Krimi, es ist ein Erzählpuzzle, das die Grenzen des Kriminalromans auslotet. Es geht Seiberth nicht nur um eine spannende Geschichte, sondern um die Lust am Erzählen selbst, am Skurrilen, am Lokalkolorit mit seinen Anspielungen, die man mit Schmunzeln zu dechiffrieren sucht. Es gibt auch Wortwitz und mehr oder weniger deutliche Zeitkritik.
Der promovierte Theaterwissenschaftler und Verlagsfachmann hat zwar bereits einmal ein Kriminalhörspiel geschrieben, aber einen veritablen Krimi noch nie. Seiberth gibt auch zu, dass er die Grenze des Genres hat sprengen wollen. Kein Wunder sagt er: «Das Erzählen ist mein Lebensthema.»
Diffuse Bedrohung
Die Zeitbezüge sind nicht einfach Kulisse, sondern spürbar Herzensanliegen des Autors. Das Thema des bedrohten Paradieses etwa verweist deutlich auf Arlesheim. Die diffuse Angst angesichts der gesellschaftlichen Veränderungen durchzieht das Buch wie ein roter Faden. Formal spielt der Autor auf einer breiten Klaviatur. Seiberth gibt in seinem Roman etwa ein Chat-Protokoll wider und schmuggelt sogar ein hübsches Anagramm in den Text.
Dass das Buch genau 111 Kapitel hat, von denen das kürzeste nur aus einem einzigen Satz besteht, scheint kein Zufall. Oder doch?
Die Schnapszahl verweist ungewollt auf die Phi-Funktion des Basler Mathematikers Leonhard Euler oder auf die Nummer des Elementes Roentgenium. Röntgenstrahlen braucht es, um etwas zu durchleuchten. 111 als Zahl der Erleuchtung? Wer weiss.
Jürg Seiberth: Kollers Handschuh. Kriminalroman, edición vidal, Winterthur 2012, 248 Seiten, Fr. 33.20. Erhältlich in der Buchhandlung «Nische».