Am Puls der Sehnsucht
Am Sonntag boten Ly Aellen, das Carmina Vokalensemble und die Camerata Cantabile Zürich in der reformierten Kirche in Arlesheim ein Programm, das trotz moderner Töne auf grossen Anklang stiess.

Thomas Brunnschweiler
Man kann ein Konzert unter das Diktat der Gefälligkeit stellen oder versuchen, das Publikum auf sanfte Weise zu neuen Klangerfahrungen zu führen. Letzteres hat Ly Aellen mit dem Programm «Sehnsucht» versucht. Mit der Kombination des zeitgenössischen schwedischen Komponisten Thomas Jennefelt und Georg Friedrich Händel, Felix Mendelssohn Bartholdy und Gabriel Fauré liess sie sich auf ein Werkstatt-Werk ein, das an Komplexität und Anspruch das Projekt der letztjährigen «Carmina Burana» noch übertraf.
Anspruchsvolle Moderne
Am Anfang, in der Mitte und am Ende des Konzerts erklangen drei Stücke der «Villarosa Sequenzen» von Thomas Jennefelt. Diese Musik in gebrochener Tonalität ist in vielerlei Hinsicht anspruchsvoll: Gezogene Melismen wechseln sich mit stossweisem Sprechgesang ab und die Akkorde sind extrem schwierig zu intonieren. Im ersten Stück flochten Saara Vainio und Sylvia Heckendorn ihre Stimmen in den insistenten Klangteppich des Chores, der sich dem Werk, das einen langen Atem verlangt, völlig gewachsen zeigte. Oft fühlte man sich durch mittelalterliche Anklänge an Orffs «Carmina Burana» erinnert. Die Psalmkantate «Wie der Hirsch schreit» von Felix Mendelssohn entstand grösstenteils 1837 während dessen Hochzeitsreise.
Kein Geringerer als Robert Schumann urteilte, das Werk Mendelssohns sei «die höchste Stufe, die er als Kirchenkomponist, ja die neuere Kirchenmusik überhaupt, erreicht hat.» Der Chor sang elastisch, homogen und dynamisch differenziert, unterstützt von der absolut durchhörbaren Camerata Cantabile, wo vor allem die erste Violine und die Cellistin den Puls gaben. Saara Vainio brillierte in den Solostellen und zusammen mit den Solisten William Lombardi, Christophe Gindraux, Jaime Sa-gaseta und Fabian Kristmann in dem herrlichen Quintett «Der Herr hat des Tages verheissen seine Güte.»
Gestische Präsenz
Dann spielte das Orchester Gabriel Faurés «Pavane» in der ursprünglichen Orchesterfassung und verbreitete den Charme des Fin de Siècle. Einen zweiten chorischen Höhepunkt bildete Händels «The Lord is My Light», in dem sich William Lombardi und Christophe Gindraux profilieren konnten. Gebändigte Wucht, Gottessehnsucht und kompositorisches Raffinement spiegeln sich in diesem Stück aus den «Chandos Anthems». Hier kamen auch die Solobässe Jaime Sagaseta und Fabian Kristmann zum Zug. Ly Aellen dirigierte wie immer tänzerisch, mit ephebenhafter Leichtigkeit und gestischer Präsenz. Vier verschiedene musikalische Klangwelten zu durchschreiten und doch Beliebigkeit zu meiden – das ist hohe Kunst. Das spürte auch das Publikum, das lang anhaltenden Applaus spendete.