Lehrpersonen in Gemeindebehörden: Demokratisch oder unfair?

Sollen Lehrpersonen sich in den politischen Gemeindebehörden engagieren dürfen? Die Frischluft findet klar «ja». Dem stellen sich die bürgerlichen Parteien vehement entgegen.

«Es gibt nichts, was stören würde.» Politwissenschaftler Andreas Gross sieht kein Problem darin, wenn Lehrerinnen und Lehrer ein politisches Amt auf Gemeindeebene ausüben.  Foto: Axel Mannigel
«Es gibt nichts, was stören würde.» Politwissenschaftler Andreas Gross sieht kein Problem darin, wenn Lehrerinnen und Lehrer ein politisches Amt auf Gemeindeebene ausüben. Foto: Axel Mannigel

Am Mittwoch vergangener Woche lud die Frischluft zu einem Abend mit Politwissenschaftler Andreas Gross ein. Auch wenn der komplette Titel der Veranstaltung «Wie stark dürfen politische Rechte eingeschränkt werden? Eine Abstimmung in Arlesheim» lautete, ging es im Kern um die Frage, ob Lehrpersonen sich in den politischen Gemeindebehörden engagieren dürfen oder nicht. Andreas Gross’ Ausführungen lauschten im Gasthaus zum Stärne rund 15 Interessierte, ausnahmslos aus den Parteien Frischluft und SP. Hintergrund ist, dass seit 2018 im Kanton Basel-Landschaft strengere Vorschriften in Bezug auf die Unvereinbarkeit mit politischen Ämtern auf Gemeindeebene gelten. Davon betroffen sind die Lehrpersonen und betroffen ist auch die Frischluft, die unter anderen mit Roger Angst als Primarlehrer in der Gemeindekommission vertreten ist. An der letzten Gemeindeversammlung wurden Ausnahmen für Lehrpersonen beschlossen, am 20. Oktober stimmen die Arlesheimerinnen und Arlesheimer darüber ab. Ein brisantes Thema, denn laut Gross geht es um nicht weniger als den Abbau der Demokratie.


Grundrechte als Privilegien

Andreas Gross (67), sass für die SP 24 Jahre lang im Nationalrat und 21 Jahre als parlamentarischer Vertreter der Schweiz im Europarat. Er ist sehr aktiv in Sachen Direkte Demokratie, was er auch am Mittwochabend im Stärne deutlich machte. Vor allem wies er wiederholt auf die Grundrechte hin, aus denen eine Demokratie überhaupt erst bestehe. In der Schweiz jedoch würden die Grundrechte, ausgehend von der Französischen Revolution, als Privilegien gelten, die der Staat gibt oder entzieht: «Grundrechte sind etwas für andere, nicht für uns.» Konkret gehe es im vorliegenden Fall analog der Baselbieter Kantonsverfassung um die Freiheitsrechte und die Rechtsgleichheit als Grundrechte. Würde den Lehrpersonen verboten, politisch aktiv zu sein, kämen sie in eine mindere gesellschaftliche Klasse. Ihnen würden Grundrechte aberkannt und die Demokratie würde destabilisiert. Ausserdem stelle der Kanton die Lehrer an, nicht die Gemeinde: «Es gibt nichts, was stören würde.» Im Gegenteil: «Wir sind doch heute froh um Leute, die kandidieren», sagt Gross.


Bürgerlicher Widerspruch

Dem stellen sich die bürgerlichen Parteien FDP, CVP, SVP und Grünliberale massiv entgegen. Es stimme zwar, dass die Lehrpersonen vom Kanton angestellt würden, die Entlöhnung erfolge aber via Gemeinde, erläutert FDP-Landrat Balz Stückelberger auf Anfrage. «Die Behauptung, Lehrpersonen werden in ihren Grundrechten beschnitten, ist völlig falsch und in höchstem Masse irritierend. Sie sind nach wie vor wählbar, müssen sich aber zwischen verschiedenen Ämtern entscheiden.» Ähnlich argumentiert auch Jean-Claude Fausel von der GLP. «Die Lehrkräfte des Kindergartens sowie der Primar- und Musikschule gehörten unmissverständlich zu den Gemeindeangestellten.» Man könne nicht verstehen, wieso sie in Arlesheim in den Behörden wählbar sein sollten und die anderen Gemeindeangestellten weiterhin ausgeschlossen bleiben würden, sagt er.

Auch für Markus Dudler (CVP) ist der Fall klar: «Ich würde als Lehrer in meiner eigenen Wohngemeinde nicht politisch tätig sein, eine möglichst breite Akzeptanz bei den Eltern und Schülern wäre mir zu wichtig.» Ein weiterer Aspekt sei, dass bei einer Annahme des Versammlungsbeschlusses Lehrkräfte in Behörden und Kontrollorganen mitbestimmen könnten auch über Fragen, die das übrige Gemeindepersonal betreffen und diese seien explizit ausgeschlossen, ergänzt SVP-Landrat Peter Brodbeck. Egal, wie die Abstimmung am 20. Oktober endet, eines der beiden Lager wird den Ausgang wohl als Schaffung von (neuen) Ungerechtigkeiten empfinden. Ein abschliessendes Urteil müssen sich die Arlesheimerinnen und Arlesheimer selbst bilden.

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