Flinker Pöstler mit Hausservice

1991 wurde Camille André Posthalter in Beinwil, zehn Jahre später wurde die Poststelle zu seinem Leidwesen geschlossen. Trotzdem liess er die «Beibler» nicht im Stich und bediente sie per Auto mit Briefen und anderen postalischen Leistungen.

<em>Vor der Pensionierung: </em>Camille André (rechts) übergibt seinem Chef Milovan Stanic den Schlüssel für das Auto.Foto: Jürg jeanloz
<em>Vor der Pensionierung: </em>Camille André (rechts) übergibt seinem Chef Milovan Stanic den Schlüssel für das Auto.Foto: Jürg jeanloz

Wie gewöhnlich braust Camille André Punkt 13 Uhr mit seinem gelben VW Caddy auf dem Beinwiler Hof des Landwirts Urs Saner an, um Briefe und Päckli zu überbringen. Diesmal erwarten ihn aber zusätzlich seine Frau Heidi, sein Chef Milovan Stanic und der Schreibende, es ist seine letzte Fahrt vor der Pensionierung. «Heute darf ich dir einen Schnaps einschenken», meint lachend Urs Saner. Die Stimmung ist gut, der Ausblick vom Hof ins grüne, sonnige Lüsseltal phänomenal. Mit Leib und Seele ist der beliebte Camille Pöstler gewesen, immer gut drauf und freundlich. «Einige hatten heute Tränen in den Augen, als ich zum letzten Mal auftauchte», erzählt der 63-jährige Wirbelwind. Für einen kurzen Schwatz oder einen Kaffee sei er immer zu haben gewesen.

Die längste Tour eines Postboten

Jeden Tag um 6 Uhr holt Camille die Post in Breitenbach, und zusätzlich die Pakete für die Gemeinde Erschwil, um den dortigen Briefträger zu entlasten. 104 Kilometer bringt er täglich auf den Tacho, um 113 Häuser und abgelegene Höfe in Beinwil zu bedienen. Es ist die längste Tour eines Postboten in der Schweiz und äusserst anstrengend, wenn die Zufahrtswege mit Schnee und Eis belegt sind. Seine tollen Fahrkünste sind bekannt, der Sound seines Kleintransporters berüchtigt, sogar die Hunde schlagen an, wenn Camille eintrudelt. Einzig mit der Gans Vladimir von Saner stand er auf Kriegsfuss. Er hatte sie einmal mit einer Zeitung verscheucht, worauf sie ihn am Hintern packte. Seither war sie nicht mehr gut auf ihn zu sprechen.

Camille verträgt nicht nur Briefe und Pakete, sondern nimmt auch Einzahlungen, Päckli und eingeschriebene Briefe entgegen. Als mobiler Pöstler verkauft er Marken, stellt Quittungen aus und überbrachte früher sogar die AHV. «Als der Zahlungsverkehr noch nicht elektronisch war, hatte ich einmal auf einer Tour 70000 Franken in meinem Cockpit», weiss er zu berichten. Auf einer seiner Touren habe er einen halb erfrorenen 78-jährigen Mann aufgegabelt und ihm so sein Leben gerettet, schiebt er bescheiden nach.

Camille absolvierte eine Lehre in der Poststelle Breitenbach und war 47 Jahre für die Post (früher PTT) tätig. Er half auch immer wieder in den Gemeinden Büsserach, Erschwil, Fehren, Meltingen und Zullwil als Briefträger aus. In Beinwil ist er Ersatzgemeinderat für Urs Saner und Hundesteuereinzüger. Zum Dank für seine Leistungen übergab ihm Saner ein Geschenk. Als fremder «Fötzel» sei er gut in der Gemeinde aufgenommen und integriert worden, bedankt sich Camille. Jetzt freue er sich, die Zeit mit seiner Frau Heidi und den Enkelkindern zu verbringen, den Hund auszuführen und im Garten zu werkeln. Es ist kaum aus dem Nähkästchen geplaudert, dass Camille ein fanatischer FCB-Fan ist, gut kocht und gerne isst.

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