Ein sensationeller Fund schreibt die Schweizer Geschichte neu

Zum ersten Mal wurde in der Schweiz ein römisches Landhaus in einem kleinen Juratal gefunden. Was die damaligen Bewohner in Erschwil angezogen hat, ist noch unbekannt.

Sensationelle Mauer: Fabio Tortoli hält Bruchstücke der Dachziegel in der Hand. Fotos: Gini Minonzio

Sensationelle Mauer: Fabio Tortoli hält Bruchstücke der Dachziegel in der Hand. Fotos: Gini Minonzio

Lieblingsstück: Für die Archäologin Simone Mayer ist die Fayence-Perle der schönste Fund.

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Bisher waren die engen Juratäler ein weisser Fleck auf der Landkarte, was römische Landhäuser anbelangt. Diese hatte man nur in offener Landschaft wie beispielsweise in Breitenbach oder Laufen gefunden. Und nun das! Die Solothurner Archäologen waren in Erschwil an die Kirchgasse ausgerückt, weil sie auf einer Bauparzelle Überreste einer mittelalterlichen Kirche sichern wollten. Diese haben sie nicht gefunden, dafür sind sie auf sensationell gut erhaltene Grundmauern eines römischen Landgutes gestossen; samt groben selbst gemachten Kochtöpfen, edlen südfranzösischen Essschalen, abgenagten Hirschknochen, Kleiderfibeln, Webgewichten, Schmuck. Und einem Glöckchen, um böse Geister zu vertreiben. Alles Dinge, die man vor 2000 Jahren so zum Leben brauchte.

«Wer hier wohnte, können wir nicht sagen, weil wir keine Gräber gefunden haben», erklärte der Grabungsleiter Fabio Tortoli am Sonntag am Tag der offenen Grabung. Die Besitzer könnten einheimische Kelten gewesen sein, welche die römische Kultur angenommen haben. Oder eine Familie aus der Stadt Rom, aus dem heutigen Griechenland, Spanien, Ägypten, die es nach Erschwil verschlagen hat. Sicher ist, dass nebst der Besitzerfamilie auch Angestellte dort gewohnt haben, denn es handelt sich um ein stattliches Wohnhaus.

Ferienhaus? Motel? Holzzentrale?

Auch der Zweck des Landhauses ist noch unbekannt. Es könnte sich um die Sommerresidenz eines reichen Städters aus Basel oder Augusta Raurica handeln. Möglich wäre auch, dass es eine Strassenstation und Herberge war. «Der Hauptweg vom Mittelland nach Augusta Raurica ging über den Hauenstein», so Tortoli. Doch möglicherweise führte ein Säumerweg über den Passwang und entlang den Flanken des Lüsseltals. Möglich ist auch, dass das Erschwiler Landgut als Zentrum für Holzverkauf diente. Denn der Holzhunger der Städter, des Militärs und der Mörtelfabrikanten war enorm.

Sicherlich war das Erschwiler Landhaus in den Jahren 50 bis 150 nach Christus bewohnt, also während der florierenden Friedenszeiten des Römischen Reiches. Wie lange es danach noch bewohnt war, können die Archäologen noch nicht genau sagen. «Im 3. Jahrhundert wurden in den Kriegswirren viele Landhäuser zerstört», so Tortoli.

Später wurde beim Erschwiler Landhaus, wie andernorts auch, eine Kirche gebaut. Manchmal bauten die frühen Christen auf die bestehenden römischen Mauern auf. Manchmal nutzten sie auch einfach die vielen schönen Bausteine, die praktischerweise herumlagen. «Die Kirche wurde 1219 erstmals erwähnt, doch ist sie sicher älter», sagte Tortoli.

Die Archäologen werden noch bis Ende Juni weitergraben. Das letzte Kapitel ist jedoch damit noch nicht geschrieben. Denn wie in unserer Gegend üblich, gehören zu einem römischen Landhaus etliche Nebengebäude für die Angestellten, die Tiere, die Werkstätten. Beim nächsten geplanten Bau wird die Erde ein weiteres Stück Geschichte preisgeben.

 

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