Lucelle-Stierva einfach: Der Weg eines gusseisernen Ofentürchens

In Grosslützel/Lucelle florierte im 19. Jahrhundert die Fabrikation von Eisenprodukten. Der Autor dieser Zeilen staunte nicht schlecht, als er vor ein paar Jahren in der Küche seiner Grosseltern in Stierva/Graubünden ein gusseisernes Ofentürchen mit der Inschrift «Lucelle» entdeckte. Der Fund hat zu einer Kurzgeschichte inspiriert.

Bündner Bergdorf: Stierva, ein Bündner Bergdorf oberhalb von Tiefencastel. Die Vorfahren des Autors lebten im Haus mit angebautem Stall ganz unten rechts. Foto: ZVG

Bündner Bergdorf: Stierva, ein Bündner Bergdorf oberhalb von Tiefencastel. Die Vorfahren des Autors lebten im Haus mit angebautem Stall ganz unten rechts. Foto: ZVG

Fund im Kanton Graubünden: Das gusseiserne Ofentürchen trägt die Inschrift Lucelle/Grosslützel (Sundgau). Foto: L. Candreia

Fund im Kanton Graubünden: Das gusseiserne Ofentürchen trägt die Inschrift Lucelle/Grosslützel (Sundgau). Foto: L. Candreia

Das Feuer im Specksteinofen knistert. Ich bin ein gusseisernes Türchen, halte Hitze, Wärme, Kälte, einfach alles aus.

Fabriziert hatte man mich im fernen Franzosenlande, in Lucelle an der eidgenössisch-jurassischen Grenze. Wie viele andere Türchen gelangte auch ich nach Graubünden. In einem stark beladenen Fuhrwerk, das mit zahlreichen Pausen und Übernachtungen quer durch das Schweizerland kutschierte. In Tiefencastel wurde ich auf einen kleinen Holzschlitten geladen. Steil aufwärts ging’s nun bis ins 1375 m hoch gelegene Bergdorf Stierva. Mein neuer Besitzer, ein wild aussehender Kerl mit einem struppigen Bart, weiss wie ein Schaf, lud mich im Quartier Dimvei ab.

Im kleinen Hause der Candreias, die gerade mal ein paar Ziegen und eine Kuh im angebauten Stall besitzen, lebe ich nun schon ein paar Jahrzehnte. Die Familie zählt nicht zu den Ärmsten im Dorf, denn zu essen haben sie immer genug. Der Linard geht zwischendurch auf die Jagd und versteckt das erlegte Wild vor den Gendarmen. Gute Geschäfte scheint er auch mit der Fuchsjagd zu machen. Der begehrte Pelz hat in den Städten seinen Preis.

In meiner Küche sind die Wände schwarz vor Rauch, ab und zu, vor allem in der Nacht, wenn meine Familie schläft, klettern Mäuse vom Keller hoch und suchen nach kleinen, am Boden liegenden Essensresten. Im Hause der Candreias erzählt man sich von morgens bis abends Geschichten.

Kürzlich kam die Barbara aus Genua heim. In einem Hotel in Nervi bedient sie seit Jahren während der Wintersaison die noblen Gäste. «Haben die Bananen, die ich euch kürzlich per Post geschickt habe, geschmeckt?», war eine der ersten Fragen. Die alte Margreta reagierte zögernd: «Du meinst damit wohl die grünen krummen Dinger, die sich leicht zerdrücken lassen? — Ach so, die hätte man essen können… ich habe sie unten im Garten in der Erde vergraben. Tgi semna, raccolta — wer sät, der erntet. Aber gewachsen ist leider nichts.» Und dann ging einmal mehr ein grosses Gelächter los.

Die Margreta hatte halt noch nicht viel von der Welt gesehen und alles Fremde und Unbekannte war schnell einmal des Teufels Werk. So auch der kürzlich installierte elektrische Strom. Dass man einfach einen Schalter drehen kann und der Raum dann hell wird, nein, da geht doch etwas nicht mit rechten Dingen zu und her…

Eigentlich geht’s mir in Stierva ordentlich. Ich kann mich nicht beklagen. Auch hier ist Welt. Das Französische in Lucelle habe ich schon lange nicht mehr in meinen Ohren. Die hiesige Sprache, das Rumantsch, klingt ähnlich. Auch hier braucht man «nondedieu», einfach ein wenig anders ausgesprochen, nämlich «nomdadia». Und «Adia» entspricht dem Französischen «Adieu».

Worterklärung: Dimvei heisst im unteren Teil des Dorfes, Mezvei im mittleren und Sumvei im oberen Teil. Linard Candreia, Laufen, Autor und Landrat, schreibt Kurzgeschichten fürs Wochenblatt.

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