«Die Geschichte schreibender Frauen in der Schweiz muss sichtbar werden»

Mit «Widerstand und Übermut — Schriftstellerinnen der 70er-Jahre» geben Valerie-Katharina Meyer und Nadia Brügger Einblick in das Leben und Schaffen Schweizer Autorinnen, die im Schatten ihrer männlichen Kollegen standen und in Vergessenheit geraten sind.

Valerie-Katharina Meyer (r.) und Nadia Brügger: Mit ihrem Buch «Widerstand und Übermut» wollen sie Autorinnen aus den 70er-Jahren würdigen und sie aus der Versenkung zurückholen. Foto: Anja Fonseka / ZVG

Kennen Sie Friedrich Dürrenmatt? Oder Max Frisch? Aber natürlich! Vermutlich haben alle in ihrer Schulkarriere eines oder mehrere Bücher dieser Autoren gelesen. Sie sind Pflichtstoff in Schweizer Klassenzimmern, sogenannte Klassiker. Kennen Sie Maja Beutler? Oder Anna Felder? Wohl eher nicht. Sie beide sind bedeutende Schriftstellerinnen der 70er-Jahre, die neben vielen anderen Frauen in diesem Jahrzehnt hochstehende, literarische Werke veröffentlichten. Sie wurden aus der literarischen Öffentlichkeit verdrängt und sind im Gegensatz zu ihren männlichen Berufskollegen bis heute kaum beachtet. Diesen Schriftstellerinnen wieder Sichtbarkeit zu verleihen, haben sich Nadia Brügger und Valerie-Katharina Meyer zur Aufgabe gemacht. In ihrem kürzlich erschienenen Buch «Widerstand und Übermut — Schweizer Schriftstellerinnen der 1970er-Jahre» beleuchten sie die damalige Zeit und die Umstände, unter welchen die Autorinnen damals arbeiteten und wie sie sich miteinander vernetzten. Sie hätten sich während ihrer Zeit als Doktorandinnen in Zürich kennengelernt, sagt Meyer, die in Duggingen aufwuchs und das Gymnasium in Laufen besuchte: «Wir arbeiteten während des Verfassens unserer Dissertationen vier Jahre lang eng zusammen, unterstützten uns und diskutierten viel. Nach Abgabe unserer Arbeiten hatten wir Lust auf etwas Gemeinsames. So entstand die Idee für dieses Buch. Wir bewarben uns damit beim Gosteli-Archiv und wurden mit einem Stipendium unterstützt. Einen Monat später waren wir schon wieder am Schreiben und Recherchieren für unser Buch.»

Dass gerade in den 70er-Jahren so viele Frauen mit dem Schreiben begonnen hätten, sei nicht weiter verwunderlich, sagt die 36-jährige Autorin: «Die 70er-Jahre waren eine literarisch spannende Zeit. Die Frauen verfügten nach Erlangen des Stimm- und Wahlrechts im Jahr 1971 endlich mehr politische Mitbestimmung. Sie befanden sich im Aufbruch. Das merkte man auch in der Literatur. Die Frauen wollten endlich ihre Geschichten erzählen, sich mitteilen und gehört werden. Teilweise leben die Autorinnen heute noch. Es ist uns wichtig, mit dieser älteren Generation in einen Dialog zu kommen. Vor allem war es uns auch ein Anliegen zu zeigen, dass viele Frauen schon lange vor uns über jene Themen geschrieben haben, die uns auch heute beschäftigen.»

Die damaligen Autorinnen waren in literarischer Hinsicht Vorreiterinnen. Denn sie haben den dazumal typischen Alltag von Frauen, etwa Kinderkriegen oder Einkaufen, erstmals zum literarischen Thema gemacht. Gerade deswegen wurde ihre Literatur aber häufig als «Literatur für Frauen» abgewertet. Dabei bewegten auch Themen wie Migration, Umweltschutz oder Krankheit die Schriftstellerinnen nicht weniger als ihre männlichen Kollegen. Nur habe man ihre Bücher für diese gesellschaftlichen Diskussionen selten miteinbezogen.

Mit ihrem Buch wollen Nadia Brügger und Valerie-Katharina Meyer dazu anregen, die Autorinnen der 70er-Jahre weiterhin zu lesen. «Wir sollten uns an die Vergangenheit erinnern, auch wenn die Gegenwart sehr dominant ist, und das Bewusstsein dafür schärfen, dass schon Generationen von Frauen vor uns für ihr Schreiben und für ihre Rechte gekämpft haben», so Meyer. Die Autorinnen wünschen sich denn auch, dass die Schriftstellerinnen aus dieser Zeit vermehrt an Schulen gelesen und besprochen werden. Gemeinsam bieten sie deswegen nun auch entsprechende Workshops für Schulen an.

Es sei erfreulich, dass sich die Situation für heutige Autorinnen verbessert hätte, der Literaturmarkt sei viel weiblicher geworden — sowohl bei den Schreibenden als auch den Konsumierenden. Aber: «Die Geschichte schreibender Frauen muss endlich sichtbar werden», mahnt Meyer.

Valerie-Katharina Meyer möchte sich nebst ihren Tätigkeiten als Literaturvermittlerin und Lektorin auch weiterhin dem Schreiben von Büchern widmen. Von ihr erschienen ist bereits der Gedichtband «Und überlaut die Zikaden». Aktuell schreibt sie an Kurzgeschichten. «Vor allem aber möchte ich auch wieder ein neues Projekt mit Nadia zusammen aushecken», fügt sie an.

Für alle, die gerne ein Buch einer Autorin der 70er-Jahre lesen würden, hat Meyer drei Empfehlungen: «Vorabend» von Gertrud Leutenegger, darin wird uns beim Lesen immer wieder bewusst, wie wichtig es ist, dass wir manchmal neue Blickwinkel einnehmen. Die Kurzprosa von der Basler Autorin Adelheid Duvanel, die 2021 unter dem Titel «Fern von hier» neu herausgegeben worden ist. «Quasi Heimweh» von Anna Felder, in dem es um die italienische Migration der 1970er Jahre geht. Die Protagonistin bewegt sich zwischen zwei Sprachen, zwischen zwei Welten hin und her und erzählt vom Fremdsein, während sie mit dem Postauto in abgelegene Dörfer fährt.

«Die Geschichte schreibender Frauen in der Schweiz muss endlich sichtbar werden.» «Widerstand und Übermut – Schriftstellerinnen aus den 70er-Jahren», erschienen im Verlag «Hier und Jetzt».

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