Den Boni kritisch begegnen

Zwei Klassen des Gymnasiums Laufental-Thierstein verbringen dieses Jahr die traditionelle Wirtschaftswoche im Berner Jura. Konrektor Christoph Keller und Jeannine Onori von der Handelskammer beider Basel erklären weshalb.

Wirtschaftswoche: Christoph Keller und Jeannine Onori organisieren die Lernwochen.   Foto: Dimitri Hofer
Wirtschaftswoche: Christoph Keller und Jeannine Onori organisieren die Lernwochen. Foto: Dimitri Hofer

Das beschauliche Dörfchen La Ferrière (BE) ist für viele ehemalige Gymnasiasten aus dem Baselbiet mit Erinnerungen verbunden. Seit etlichen Jahren führen im dortigen Basler Studienheim regionale Unternehmer in die vielseitige Welt der Wirtschaft ein. Vergangene und diese Woche auch rund vierzig Schülerinnen und Schüler des Gymnasiums Laufental-Thierstein. Dessen Konrektor Christoph Keller und Jeannine Onori von der Hauptorganisatorin Handelskammer beider Basel sprechen über Programm und Zweck der Wirtschaftswoche.

Welche neuen Erfahrungen werden die Schülerinnen und Schüler im Gepäck haben, wenn sie am Freitagabend den Zug nach Hause besteigen?
Keller: Sie haben eine bessere Vorstellung davon, was es bedeutet, einen Betrieb zu führen. In der Woche geht es darum, dass die Gymnasiasten in Gruppen eine fiktive Produktionsfirma im zehnten Geschäftsjahr übernehmen. Dabei müssen die Schüler zuerst einmal gemeinsam entscheiden, welchen Alltagsgegenstand die Unternehmen herstellen. In den vergangenen Jahren produzierten die Firmen unter anderem Baseballcaps, Toaster und Unterwäsche.

Onori: Mithilfe einer vor zwei Jahren aufgestellten Nutzenanalyse konnten die wichtigsten Ziele der Wirtschaftswoche festgestellt werden. Zu allererst soll bei den Schülern ein nachvollziehbares Verständnis von betriebswirtschaftlichen Themen geschaffen werden. Ein anderer bedeutender Faktor ist die Teambildung. Wir legen Wert darauf, das gewohnte Klassengebilde aufzubrechen, damit sich die Schüler in neu gebildeten Teams mit Problemen auseinandersetzen. Die gemachten Erfahrungen können durchaus einen entscheidenden Einfluss auf die Berufsfindung haben. Vor allem, weil die Gymnasiasten während der Woche von Fachkräften aus der Wirtschaft geschult werden.

Um wen handelt es sich dabei?
Onori: Bei beiden Klassen sind es je zwei Personen. Heuer mussten wir auf zwei kompetente Leute aus Zürich zurückgreifen, weil es dem Laufental und Thierstein an Fachlehrern fehlt. Aus der Region stammen Michelle Keller, die als Kreditberaterin bei der Raiffeisenbank in Laufen tätig ist, und Thomas Seper von der Stebler & Co. AG in Nunningen.
Keller: Die Fachkräfte werden von der Ernst Schmidheiny Stiftung, von der Handelskammer beider Basel und vom Industrieverband Laufental-Thierstein-Dorneck-Birseck getragen. Diesem machte das Gymnasium in derVergangenheit immer wieder klar, wie wichtig die Woche für unsere Schülerinnen und Schüler ist. Und dass es äusserst schade wäre, wenn das Angebot aufgrund eines Mangels an Fachlehrern nicht mehr existieren würde. In der Region existieren zwar durchaus grosse Betriebe, ich denke hierbei an die Ricola, die Aluminium Laufen AG und die Keramik Laufen AG, die leider alle keine Fachlehrpersonen zur Verfügung stellen. Wobei die Keramik dieses Jahr vor der Wirtschaftswoche als Einführung für die Schüler eine Betriebsführung angeboten hat.

Was passiert, nachdem die Schüler die Firma übernommen haben?
Onori: Jeder Tag der Woche steht für ein Geschäftsjahr des Betriebes. Die Gruppen müssen für ihr Unternehmen Entscheidungen treffen, die auch real existierende Firmen beschäftigen. Es geht unter anderem darum, ein Marketingkonzept aufzustellen, ein Leitbild zu formulieren und Medienmitteilungen zu verfassen. Anhand eines von der Ernst Schmidheiny Stiftung entwickelten Simulationsspieles sehen sie die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit. Am Freitag veranstalten alle Betriebe eine Art Generalversammlung, an der sie Rechenschaft über die getroffenen Entscheide ablegen.
Keller: Die anderen Gruppen bilden jeweils die Aktionäre, die den Unternehmern auch kritische Fragen stellen können. Es ist immer spannend zu sehen, dass bei vielen Schülern während der Woche das Verständnis für betriebswirtschaftliche Prozesse gewachsen ist. Zu Beginn verfügen die meisten lediglich über geringe Kenntnisse, da sie in ihrer bisherigen Schulzeit wenig bis gar nicht mit solchen Themen in Berührung kamen. Die Gymnasiasten mit Schwerpunktfach Wirtschaft verbringen übrigens in der gleichen Woche drei Tage in einem Kloster. Dies, weil heute oftmals der Eindruck entsteht, dass bei vielen Wirtschaftsführern eine ethische Grundlinie im Verhalten fehlt.

Gutes Stichwort. Das Image der Wirtschaft ist aufgrund von Lohnexzessen und Boni zurzeit stark angeschlagen. Kann und will die Wirtschaftswoche diesen Entwicklungen in irgendeiner Weise entgegenwirken?
Onori: Darum geht es nicht. Die Wirtschaftswoche ist entstanden, um ein Verständnis für die Komplexität zu schaffen. Den genannten Entwicklungen muss nicht entgegengewirkt, sondern kritisch begegnet werden.
Keller: Man kann erst etwas kritisieren, wenn man es versteht. Ansonsten argumentiert man nur mit Schlagworten und Vorurteilen. Die Wirtschaftswoche soll deshalb bei den Schülern ein Verständnis für die Zusammenhänge wecken. So kann ihnen klar werden, dass Geschäftsführer eine grosse Verantwortung haben und ihnen dafür ein gewisses «Schmerzensgeld» zusteht. Die Frage ist dann halt einfach, wie hoch dieses sein muss.
Onori: Ich verstehe jedoch, dass die Menschen aufgrund der Komplexität der Prozesse emotional reagieren und sich deshalb auch ohne detaillierte Fachkenntnisse eine Meinung bilden. In der direkten Demokratie haben die Meinungsträger und -vermittler einen grossen Einfluss und in diesem Sinne hat die verantwortungsvolle Geschäftstätigkeit eine grosse Signalwirkung auf das Stimmvolk.

Die Wirtschaftswochen werden im Kanton Baselland seit 36 Jahren durchgeführt. Wieso sollen Schüler auch in Zukunft in ihren Genuss kommen?
Onori: In den Schulen kommt das projektorientierte Arbeiten in vielen Fällen zu kurz. Während der Wirtschaftswoche wird das aktive Verhalten gestärkt, wovon die Gymnasiasten auch nach ihrer Abreise profitieren.

Keller: Die Woche stellt eine absolute Luxussituation bezüglich der Unterrichtsform dar. An fünf Tagen sind die Schülerinnen und Schüler völlig fokussiert und können sich intensiv mit ihrem Unternehmen auseinander setzen.

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