Phagentherapie: Glücksfunde in Abwasser und Elefantenkot

Die Münchensteiner Gymnasiastin Nora Artico hat im Rahmen ihrer Maturaarbeit eine grosse Entdeckung gemacht: Sie fand neue Phagen, die bei der Bekämpfung von antibiotikaresistenten Erregern eingesetzt werden könnten.

Möchte beruflich in die klinische Forschung gehen: Nora Artico vom Gymnasium Münchenstein. Foto: ZVG

Eine der häufigsten Todesursachen sind antibiotikaresistente Bakterien: Laut Schätzungen starben allein im Jahr 2019 weltweit etwa 1,2 Millionen Menschen direkt an den Folgen einer Infektion mit ­einem antibiotikaresistenten Erreger – bei bis zu fünf Millionen Todesfällen sollen resistente Bakterien zumindest mitverantwortlich sein. Diese Tendenz dürfte in den kommenden Jahren weiter zunehmen. «Dagegen muss man doch etwas unternehmen», dachte sich die 19-jährige Nora Artico. Sie ist in Münchenstein aufgewachsen und besucht hier die Abschlussklasse des Gymnasiums. In ihrer Freizeit geht sie gerne schwimmen und auch das Lesen von Romanen gehört zu ihren Leidenschaften. Nach der Matura möchte sie im Herbst ein Medizinstudium an der Uni Basel beginnen. «Danach würde ich gerne in die klinische Forschung gehen», meint Artico über ihre Berufsvorstellungen.

Bei ihrer Begeisterung für die Fachrichtung ist es wenig überraschend, dass sich auch ihre Maturaarbeit im medizinischen und biochemischen Bereich bewegt. Auf das Thema kam sie durch die Teilnahme an der Summer Science Academy der Uni Basel vor zwei Jahren, bei der Wasserproben aus dem Rhein auf Phagen untersucht wurden. Phagen, auch als Bakterienfresser bezeichnet, sind Viren, die sich auf bestimmte Bakterien spezialisiert haben und diese angreifen oder abtöten. So können sie bei der Bekämpfung von multiresistenten Bakterien eingesetzt werden. Beim besagten Sommerkurs lernte sie Prof. Dr. Alexander Harms und Dr. Enea Maffei kennen, mit deren Team Artico ihre Forschungsidee umsetzen konnte.

Proben aus Abwasser, dem Rhein und Tierkot

Nach der Zusage im Januar 2023 machte sie sich gleich an die Arbeit: Sie nahm insgesamt 20 Proben aus dem Abwasser, dem Rhein, der Birs und dem Kot verschiedener Tiere des Zoos Basel. «Wir hatten anfangs nicht viel Hoffnung, dass wir etwas finden würden», meint Artico. Rückblickend eine unbegründete Sorge: Aus dem Abwasser und dem Elefantenkot konnte sie neun bisher unbekannte Phagen extrahieren. Fünf davon haben die bereits nachgewiesene Eigenschaft, Kolansäure zu binden, was es ihnen ermöglicht, den Schutzfilm antibiotikaresistenter Bakterien zu durchdringen oder abzubauen. Ihre neu entdeckten Phagen durfte sie auch gleich selbst benennen: So gibt es nun beispielsweise einen «Noria»-Phage, der an ihren eigenen Vornamen angelehnt ist, und einen «Enander»-Phage, den sie aus den Vornamen ihrer beiden Mentoren Prof. Dr. Harms und Dr. Maffei abgeleitet hat. «Ohne sie wäre das alles nicht möglich gewesen, dafür bin ich sehr dankbar», meint Artico.

Phagen als potenzielle Lebensretter

Über 450 Stunden investierte sie in ihre Maturaarbeit, rund ein Drittel davon im Labor. Für ihre Leistung wurde sie von der Stiftung «Schweizer Jugend forscht» mit der Höchstnote «hervorragend» ausgezeichnet. Ihre Entdeckung könnte in Zukunft eine wichtige Rolle in der Phagentherapie spielen. Diese ist in der Schweiz jedoch noch nicht zugelassen, da klinische Studien fehlen. Nur in einigen osteuropäischen Ländern ist sie derzeit erlaubt. «Ich wünsche mir, dass auch in der Schweiz Tempo in die Zulassung der Phagentherapie kommt, denn damit könnten viele Leben gerettet werden», meint Artico zum Schluss. Und wer weiss, vielleicht wird schon in den nächsten Jahren ein Noria-Phage zum Lebensretter.

Die Stiftung «Schweizer Jugend forscht» prämiert jedes Jahr die besten Arbeiten von Jungforscherinnen und Jungforschern in der Schweiz – drei davon stammen aus der Region. Die anderen beiden Preisträger wurden in den beiden vorherigen Ausgaben des Wochenblatts vorgestellt.

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