Ein Jubiläum für Mensch und Natur

Das Goetheanum feiert am kommenden Sonntag 100 Jahre biodynami- sche Landwirtschaft. Die ­Demeter-Bewegung ist auf dem Weg zu mehr Sichtbarkeit.

Positive Wirkung für Böden und Umwelt: Gemäss einer Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau 
ist die biodynamische Landwirtschaft gut für das Klima. Foto: Xue Li

Positive Wirkung für Böden und Umwelt: Gemäss einer Studie des Forschungsinstituts für biologischen Landbau ist die biodynamische Landwirtschaft gut für das Klima. Foto: Xue Li

Ein Haus für die biodynamischen Präparate: Der Rohbau des neuen Pavillons kann 
am Tag der offenen Tür besichtigt werden. Foto: Tobias Gfeller

Ein Haus für die biodynamischen Präparate: Der Rohbau des neuen Pavillons kann am Tag der offenen Tür besichtigt werden. Foto: Tobias Gfeller

Die Südwiese: Es wird nicht dann gemäht, wenn es am meisten Ertrag bringen würde, sondern dann, wenn es für die Natur am besten ist. Foto: Xue Li

Die Südwiese: Es wird nicht dann gemäht, wenn es am meisten Ertrag bringen würde, sondern dann, wenn es für die Natur am besten ist. Foto: Xue Li

In seinen letzten beiden Altersjahren setzte Rudolf Steiner noch einmal wichtige Akzente in seiner anthroposophischen Weltanschauung. Auf Wunsch von Landwirten fand an Pfingsten 1924 ein Treffen auf dem Gut Koberwitz in Polen statt, wo Rudolf Steiner die acht Vorträge des landwirtschaftlichen Kurses gab. Bis heute bilden diese die Grundlage der biodynamischen Landwirtschaft – besser bekannt unter dem Label Demeter. Am kommenden Pfingstsonntag feiert das Goetheanum mit einem Tag der offenen Tür mit Workshops, Marktständen, Führungen und künstlerischen Darbietungen im Gartenpark das grosse Jubiläum. Die Besucherinnen und Besucher können in den vier Bereichen Erde, Pflanze, Tier und Mensch in die Arbeitsweise der biodynamischen Landwirtschaft eintauchen.

Die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg war geprägt von Hunger, hoher Inflation und schlechten Böden. «Die Landwirte realisierten, dass die Produkte durch den aufkommenden Kunstdünger die ursprüngliche Nahrungsqualität verloren hatten», erklärt Benno Otter, Leiter der Gärtnerei beim Goetheanum. Der Zweite Weltkrieg stoppte die Entwicklung der biodynamischen Landwirtschaft abrupt. In den 1960er-, 1970er- und 1980er-Jahren nahm die Bewegung wieder Fahrt auf. Heute gehören Demeter-Produkte auch zum festen Bestandteil von Migros und Coop. Gerade in Arlesheim und Dornach sind die Produkte in den Grossverteilern und den spezialisierten Geschäften gefragt. Bei Coop in Arlesheim werden schweizweit am meisten Demeter-Produkte verkauft.

Der Organismus als Ganzes

«Bio» kennt mittlerweile jede und jeder. Doch was genau verbirgt sich hinter dem Begriff «biodynamisch»? Viele Vorgaben, zum Beispiel für den Platz für die Tiere, sind beim Label Demeter ähnlich oder gleich streng wie beim Label Bio-Knospe. Der Ansatz bei der biodynamischen Landwirtschaft sei ganzheitlicher, beschreibt Benno Otter. «Das eine baut auf dem anderen auf. Man arbeitet noch mehr mit dem, was die Natur an Potenzialen hergibt.» Es gehe im Kern darum, Leben in seiner Vielfalt zu begreifen und ganzheitlich fördern zu wollen, heisst es beim Label Demeter auf der Website. Längst wird auch eine anerkannte spezifische Ausbildung für die biodynamische Landwirtschaft angeboten.

Das Beispiel der Südwiese mit ihrer Pflanzenvielfalt, die blühen darf, und den Obstbäumen unterhalb des Goetheanums zeigt Schönheit und Wert für die Produktion gleichermassen. Es wird nicht dann gemäht, wenn es am meisten Ertrag bringen würde, sondern dann, wenn es für die Natur am besten ist. Diese Sichtweise mindert die Erträge in der biodynamischen Landwirtschaft im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft um 10 bis 15 Prozent. Benno Otter ist überzeugt, dass sich über den längeren Zeithorizont die Qualität der Böden bei der biodynamischen Landwirtschaft verbessert und sich dadurch qualitativ bessere Erträge ergeben.

Feldstudie beweist positive Wirkung

Dass die biodynamische Landwirtschaft weiter geht als der biologische Anbau, hänge auch mit der Einstellung der Landwirtinnen und Landwirte zusammen, bereit zu sein, noch mehr zu machen, als dies die Regeln vorgeben, glaubt Benno Otter. Die positive Wirkung auf Böden, die Umwelt generell und das Klima wird im langjährigen DOK-Versuch des Forschungsinstituts für biologischen Landbau (FiBL) in Therwil unterstrichen.

Dabei werden die konventionelle Landwirtschaft, die biologische Landwirtschaft und die biodynamische Land­wirtschaft in der Praxis miteinander verglichen. Die Ergebnisse der 1978 lancierten Feldstudie sprechen eine ein­deutige Sprache für biologische und vor allem für biodynamische Anbausysteme.

Obwohl die biodynamische Landwirtschaft heute mehr in den Köpfen und sichtbarer in den Ladenregalen ist, verläuft deren Entwicklung noch immer langsam. Das Wachstum sei aber klar spürbar, auch bei der Anzahl Bauernbetriebe, betont Jean-Michel Florin, Co-Leiter der Sektion Landwirtschaft beim Goetheanum. Florin glaubt, dass es auf der Seite der Nachfragenden diejenigen gibt, die von der Philosophie überzeugt sind, aber auch solche, die primär aus gesundheitlichen und geschmacklichen Gründen und aus Umweltbewusstsein Demeter-Produkte bevorzugten.

Information und Aufklärung

Für Benno Otter und Jean-Michel Florin ist klar, dass es in Sachen biodynamischer Landwirtschaft noch viel zu tun gibt, um sie bei der breiten Bevölkerung noch bekannter zu machen. Dass die Produkte teurer sind, sei unvermeidlich, damit die Natur nicht in Mitleidenschaft gezogen wird. Es gehe auch bei den privaten Kosten darum, Prioritäten so zu setzen, dass die höheren Ausgaben der Natur und sich selber zugutekommen. Dafür brauche es Information und Aufklärung. Jean-Michel Florin prophezeit: «Wenn wir zeigen können, dass die biodynamische Landwirtschaft für eine gute Lebensqualität bei Menschen, Tieren und Pflanzen sorgt, dann haben wir viel gewonnen.»

Tag der offenen Tür: «Erde – Pflanze – Tier – Mensch», Sonntag, 19. Mai, 10 bis 18.30 Uhr. Goetheanum, Gartenpark.
sektion-landwirtschaft.org

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