«Ein Hund beisst nicht aus dem Nichts»
Die Hunde-Verhaltenstherapeutin Barbara von Weissenfluh erklärt im Interview den Umgang mit Hunden.

Im Alltag kommt es immer wieder zu Begegnungen mit Hunden und die sind nicht immer problemlos. Mit ein Grund dafür ist, dass manche Hunde oder auch ihre Halter mit den an sie gestellten Anforderungen überfordert sind. Das Unmögliche wird möglich, wenn man der Ursache auf den Grund geht, sagt Hunde-Verhaltenstherapeutin Barbara von Weissenfluh. Dies sei zum Beispiel Roger Schuler aus Erschwil gelungen. Als er die Strassenhündin Luna aus Rumänien adoptierte, liess sie sich kaum anfassen. Sie hatte sich zuvor alleine auf ihren Jagdtrieb verlassen. Jetzt setzt sie ihr Vertrauen in den Menschen — und ihr Besitzer freut sich über die vielen kleinen Erfolge, die er mit Luna erzielte.
Wochenblatt: Braucht es nur ein gutes Herz, um einem Strassenhund ein Zuhause zu bieten?
Barbara von Weissenfluh: Ein gutes Herz ist Grundvoraussetzung. Es braucht aber mehr. Jeder Hund kostet Geld. Strassenhunde haben oft Zahnprobleme, Mittelmeerkrankheiten oder sonstiges. Ausserdem bestehen teilweise Traumata und Probleme mit dem Hier und Jetzt. Dies erfordert Unterstützung durch einen guten Verhaltenstherapeuten. Auch dies ist mit Kosten verbunden. Je nach Fellbeschaffenheit kommt noch der Hundefriseur dazu. Ich möchte zu bedenken geben, dass ein Hund Möbel und Schuhe zerstören kann, wenn seine Bedürfnisse übersehen werden. Gefragt sind also auch gute Nerven.
Wie kommt man zu einem Strassenhund?
Im Internet gibt es sehr viele Vereine, die einen Hund aus dem Ausland anbieten. Diesen kann man sich dann meistens nur im Internet anschauen. Und es ist nicht immer so, wie es der Anschein erweckt. Dies hat auch mit dem Wechsel der Umgebung zu tun. Bei einem Strassenhund lässt sich nicht zuverlässig beschreiben, wie er auf Katzen und Kinder reagiert. Es gibt durch die Organisation im künftigen Zuhause eine Vorabklärung. Dabei wird einiges angesprochen, vieles aber auch nicht.
Welche Überraschungen treten ein? Was passiert, wenn der Strassenhund im Zuhause einzieht?
Grundsätzlich gilt: Man muss den Hund im Innern ankommen lassen — er muss nicht gleich raus. Gerade wenn er ängstlich ist, dann kann das einige Tage dauern, bis er für den ersten Spaziergang bereit ist. Es braucht das richtige Equipment. Man sollte nur mit Sicherheitsgeschirr ins Freie gehen. Viele dieser Hunde haben Angst und würden davonlaufen. Sie haben aber auch Angst vor Waschmaschinen, Staubsaugern, Besen… Auch hektische Bewegungen können für diese Hunde einschüchternd wirken. Deswegen ist es ratsam, von Beginn an einen Verhaltenstherapeuten beizuziehen. Wichtig ist, den Hund zu fördern, aber nicht zu überfordern. Das ist der Schlüssel zum Vertrauen.
Was unterscheidet den Besuch beim Hundetherapeuten von der Lektion in der Hundeschule?
Im Gegensatz zum Hundetrainer, der sich um Grundgehorsam kümmert, gehe ich dem Verhalten auf den Grund. Ich zeige auf, warum ein Hund so reagiert und wie man ein Trauma behandelt. Hunde können unter Depressionen leiden. Als Therapeutin gehe ich die Verhaltensweisen an. Im besten Fall ergänzen sich Trainerin und Therapeut. Ich sage immer, der Hundetrainer ist der Lehrer, der Verhaltenstherapeut der Psychologe. Ich bin beides. Ich habe meine Hundetrainerausbildung gemacht und mich dann noch zur Verhaltenstherapeutin ausbilden lassen.
Was dürfen Hundehalter von Ihnen erwarten?
Verhaltensänderungen benötigen Zeit. Bei der Arbeit mit Lebewesen gibt es keine Garantie. Ich setze mich mit grosser Leidenschaft dafür ein, Wege aufzuzeigen, wie Hund und Mensch zusammen glücklich werden. Ich zeige auf, wie man in schwierigen Situationen richtig reagiert oder wie man eben Stress vermeiden kann. Oftmals ist es für die Menschen schon sehr hilfreich, wenn sie ein bewussteres Verständnis für den Hund entwickeln und seine Signale verstehen.
Wo gibt es Handlungsbedarf?
Ich wünsche mir, dass wir wegkommen von einem Training mit Strafe. Studien haben bewiesen, dass dies der falsche Weg ist. Gefragt ist eine positive Prägung. Alleine schon der Ansatz der Veränderung wird bestätigt und nicht erst das perfekte Ausführen. Das Training erhält eine ganz andere Bedeutung, wenn es über Vertrauen und Sicherheit aufgebaut wird. Dafür braucht es Aufklärung. Ich bekomme von Hundemenschen zu hören, ihr früheres Hundetraining sei begleitet gewesen von einem schlechten Gewissen. Leider ist die Meinung, Hunde liessen sich nur mit Strafe richtig erziehen, noch immer weit verbreitet.
Wann ist ein Hund gefährlich?
Hunde können gefährlich werden, wenn sie falsch verstanden werden. Ein Hund beisst nicht aus dem Nichts. Da gab es vorher Anzeichen und Signale des Hundes — die aber nicht verstanden oder ignoriert wurden. Hunde gehören zu unserem Leben dazu, auch Nicht-Hundehalter erleben Begegnungen mit den Vierbeinern. Ich kann nur empfehlen, sich mit der Körpersprache des Hundes auseinanderzusetzen. Man sollte manches auch nicht auf die leichte Schulter nehmen, sich rechtzeitig Hilfe holen, sinnbildlich gesprochen: Bevor das Kind in den Brunnen fällt, respektive eben bevor es zu einem Hundebiss kommt.
Was sind in der Hundeerziehung die grössten Irrtümer?
Die Vermenschlichung und wenn man glaubt, es brauche nur etwas Liebe. Dies ist leider nicht so. Die Liebe zum Tier ist Grundvoraussetzung. Aber es braucht so viel mehr, insbesondere die Bereitschaft, sich mit der Körpersprache zu beschäftigen. Nehmen wir das Beispiel: Der Hund zieht an der Leine. Mit dem Rat, man soll stehen bleiben, bis der Hund sich wieder an einem orientiert, ist es nicht getan. Nein, man muss der Ursache auf den Grund gehen und Verhaltensmuster ändern.