Traditionelles Handwerk in der Agglomeration? Die Genossenschaft Alti Papieri zeigt, wie es geht

Handwerker und Künstlerinnen haben eine ehemalige Fabrik in Arlesheim übernommen. Sie bauen sie so um, wie ihre Mieter sie wünschen: möglichst nachhaltig und günstig.

Der Vorstand der Alti Papieri: (v. l.) Monique Gebauer, Benjamin Sander (Geschäftsleitung), Joel Schneebeli, Esther Grass, Michael Kümin und Eric Honegger.

Der Vorstand der Alti Papieri: (v. l.) Monique Gebauer, Benjamin Sander (Geschäftsleitung), Joel Schneebeli, Esther Grass, Michael Kümin und Eric Honegger.

Frühere Papierfabrik: Die aufwendige Produktion machte entsprechend geräumige Hallen nötig. Diese bieten heute Platz für diverse Betriebe. Fotos: Kenneth Nars

Frühere Papierfabrik: Die aufwendige Produktion machte entsprechend geräumige Hallen nötig. Diese bieten heute Platz für diverse Betriebe. Fotos: Kenneth Nars

Am Anfang stand eine Handvoll heimatloser Handwerker, die sich Gedanken über ihre Zukunft machen mussten. Sie wussten: In der Stadt will man sie und ihre Werkstätten schon lange nicht mehr. Auch in der Agglomeration verdient man lieber mit Wohnungen Geld, als kleinen Betrieben Raum zu bieten. Einige waren jahrelang im Walzwerk an der Grenze zwischen Arlesheim und Münchenstein daheim, doch auch dort wächst der ökonomische Druck auf Gewerbeimmobilien.

Im Laufental, im Fricktal oder noch weiter weg von der Stadt hätten sie vielleicht noch zahlbaren Raum gefunden. Doch da hätten sie Netzwerk und Kunden verloren und als Einzelkämpfer von Grund auf neu anfangen müssen. Die Handwerker hatten aber den Willen, gemeinsam eine Lösung zu finden. Mit Corona wurde ihre Situation noch schwieriger. Und dann war es ein Glücksfall, dass sich in unmittelbarer Nähe des Walzwerks die Alte Papieri anbot.

Auf dem Areal beim Autobahnzubringer Sundgauerstrasse auf Arlesheimer Boden hatte die Firma Stöcklin von 1952 bis 1983 Papier hergestellt. Die aufwendige Produktion machte entsprechend geräumige Hallen nötig. 2013 erwarb die Pensionskasse Trikolon diberee gesamten 53000 Quadratmeter und vermietete sie weiter. Meist dienten die Flächen als Lager, unter anderem für Stände der Uhrenmesse Baselworld. Als diese aufgab, stand vieles leer.

Übernahme im Baurecht für 70 Jahre

Die heimatlosen Handwerker boten Trikolon ein Konzept, wie sie die Flächen bespielen wollten: Handwerk, Kunst und Kultur sollten die Alti Papieri mit Leben füllen. Sie gründeten eine Genossenschaft, die 2021 das ganze Areal im Baurecht für 70 Jahre übernahm. «Wir merkten aber bald: Alleine schaffen wir den Wandel nicht», sagt Joel Schneebeli, Co‑Präsident der Genossenschaft. Deshalb zog man das Baubüro In Situ für das Entwicklungskonzept und die Denkstatt GmbH für die Arealentwickung bei, die bereits mehrere Transformationsprojekte von Industriearealen in der ganzen Schweiz begleitet haben.

Inzwischen haben sich bereits mehrere Nutzer eingemietet, die automatisch auch Genossenschafter wurden, so diverse Handwerker und Kunstschaffende, aber auch diverse andere Unternehmen. Bisherige Mieter hat die Genossenschaft übernommen, etwa den Paketdienstleister UPS. Potenziellen Interessenten bietet die Alti Papieri viele grosse, weitgehend leere Hallen, daneben auch kleinere Räumlichkeiten. Wie der Ausbau aussieht und wer ihn finanziert, wird ausgehandelt. «Ideal sind neue Unternehmen, die bereit sind, ihr Konzept an die existierenden Räumlichkeiten anzupassen», sagt Joel Schneebeli, Co‑Präsident der Genossenschaft. «Partizipative Entwicklung» lautet der Grundsatz. Die Mieten sollen möglichst tief bleiben.

Bänke aus einer Kirche übernommen

Ein Muster zieht sich dennoch durch die bereits erfolgten Veränderungen: In die hohen Räume ziehen oft Galerien ein, etwa für die Büros der IWB-Solartochter Planeco, die neue Stockwerke für Büros erhielt. Für den Sonnenhof, eine Einrichtung für Menschen mit Unterstützungsbedarf, wurde eine kahle Halle mit viel Holz zu einem freundlichen Aufenthaltsort umgestaltet. Oft müssen in den Hallenwänden neue Fenster erstellt werden, um Licht hereinzulassen.

Bei allen Umbauten legt die Genossenschaft Wert auf die Wiederverwertung von Baumaterialien, die idealerweise vor Ort anfallen, etwa Backsteine oder Holzbalken. So wurden Heizkörper und einige Treppen wiederverwendet. Die langen Bänke in den Garderoben sind aus einer Kirche. Handwerker haben sich in Containern eingerichtet, die aus einer Asylbewerbersiedlung in Basel stammen. Zwar sei der Re-Use-Gedanke in der Architektur seit einigen Jahren im Trend, sagt Eric Honegger, In-Situ-Architekt und Vorstandsmitglied der Genossenschaft. «Aber er wird immer noch zu selten umgesetzt, weil er nicht per se günstiger ist als neu zu bauen.»

Angedacht ist südlich des Hauptbaus ein «Boulevard», in dem gemeinsame Einrichtungen wie eine Mensa vorgesehen sind. Dort hat sich bereits heute eine Brauerei eingerichtet. Um das Areal mit Anlässen zu beleben, gibt es den Kulturverein Alti Papieri. Es gab bereits diverse Anlässe, etwa eine Kunstausstellung und Konzerte. Noch unklar ist, was mit den riesigen offenen Eternithallen weiter südlich geschieht, die derzeit als Lager vermietet sind. «Materiell sind sie wertlos», sagt Honegger. Trotzdem werde man versuchen, sie umzunutzen. Allenfalls werde man die Metallträger als Rohstoff verwenden, um neue Strukturen zu erstellen.

Geheizt wird mit der Abwärme des Supercomputers nebenan

Und dann gibt es noch Knacknüsse wie die sechs Meter tiefen Betonschächte, in denen der Papierbrei gelagert wurde. Ideen hat die Genossenschaft einige: Tauchschule, Eisspeicher, Fischzucht ... Konkret ist davon noch nichts. Generell ist noch vieles unklar, die Alti Papieri ist und bleibt ein offener Prozess. Sicher ist nur: Um die Transformation voranzutreiben, braucht es Geld, fürs Erste um die 15 Millionen Franken, langfristig wohl deutlich mehr. Die Genossenschaft ruft deshalb alle auf, Mitglied zu werden, also auch solche, die keine Räumlichkeiten mieten. Im Gegensatz zum genossenschaftlichen Wohnungsbau gebe es für handwerkliche Genossenschaften kaum staatliche Unterstützung, sagt Benjamin Sander, Geschäftsführer der Genossenschaft.

An sich wäre das Areal entlang der Birs attraktiv für eine Wohnnutzung, das ist den Verantwortlichen der Alti Papieri bewusst. Und so viel Wertschöpfung wie nebenan das Uptown wird die Alti Papieri kaum je generieren. Dennoch hoffen sie, dass Behörden und Bevölkerung die angelaufene Umnutzung als bereichernden Gegensatz zum Uptown wahrnehmen. «Bei uns der Handwerker, der hämmert, dort der Supercomputer der Zukunft, das ist doch spannend», findet Schneebeli. Eine Verbindung zum Hightech-Cluster gibt es jedenfalls bereits: Die Alti Papieri bezieht zum Heizen Energie, die unter anderem vom Quantencomputer nebenan stammt.

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