Biografie-Award geht nach Münchenstein

Ein Projekt der Universität Zürich sammelt Autobiografien und vergibt jährlich Preise für besonders gelungene Beiträge. Am Montag durfte Verena Fasolin-Wiggli aus Münchenstein für ihre Biografie den zweiten Preis entgegennehmen.

«So ischs halt gsi»: In einer nüchternen und auf das Wesentliche reduzierten Schreibe blickt Verena Fasolin-Wiggli auf ihre Lebensgeschichte zurück.  Foto: Reinhard Straumann
«So ischs halt gsi»: In einer nüchternen und auf das Wesentliche reduzierten Schreibe blickt Verena Fasolin-Wiggli auf ihre Lebensgeschichte zurück. Foto: Reinhard Straumann

Unser informatisches Zeitalter beurteilt viele Lebensfragen neu. Auch die Frage, was eine Biografie ist, hat eine dramatische Umwertung erfahren: Eine digitale Datenspur, ein Nichts unter Myriaden von binären Zeichen. Müssen wir das einfach so hinnehmen?

Nein, das müssen wir nicht. Wem das zu wenig ist, der stelle sich gegen den Trend. Er – oder sie – kann sich orientieren an einer Zeit, als Biografien noch nicht Daten erzeugten, sondern Erinnerungen. Solche, die es lohnen, dass man sie aus verstaubten Tagebüchern herauslöst und neu erzählt. Welcher kulturelle Wert im Festhalten von Biografien liegt, hat das Institut für Sozialanthropologie der Universität Zürich erkannt. Unter dem Titel «Meet my Life» wurde ein Projekt lanciert, das Lebensgeschichten sammelt. Gleichzeitig wurde, um das Publikum zur Teilnahme zu motivieren, der «Schweizer Autobiografie-Award» ausgeschrieben. Am Montag dieser Woche sind in Zürich die Preise vergeben worden. Und siehe da: Ein zweiter Preis ging auch ins Birseck, nach Münchenstein, nämlich an Verena Fasolin-Wiggli.

Kreatives Potenzial

Dabei hält Verena Fasolin ihre Biografie für durchaus unspektakulär. Sie ist auf einem Bauernhof in Himmelried aufgewachsen, hat die Nöte der Kriegszeit mit ihrer Familie durchgemacht, hat später als Sekretärin in manchen Firmen gearbeitet, geheiratet und mit ihrem Mann einen Sohn und eine Tochter grossgezogen. So weit, so normal. Aber als sie pensioniert wurde und plötzlich mehr Zeit zur Verfügung stand, war für sie ganz klar: Das wars noch nicht. Das kreative Potenzial, das unter dem Druck der Lebensumstände nie hatte zur Entfaltung kommen können, regte sich. Wo andere stricken und häkeln, begann Verena Fasolin zu malen und zu schreiben. Was sie sich zunächst als Autodidaktin aneignete, vertiefte und schärfte sie in Kursen. Und zu ihrem Erstaunen stellten sich Anerkennungen ein: eine beachtete Ausstellung ihrer Aquarelle und Monotypien da, ein Preis für ihre Gedichte dort.

Literarisches Niveau

Zweierlei hat sie bewogen, ihre Autobiografie zu schreiben und auf der Internetplattform «Meet my Life» öffentlich zu machen: die Lust am Formulieren und die Erkenntnis, dass es gar keine banalen Biografien gibt, sondern dass jede in etwas Besonderes mündet. Und sogar die eigene ist es wert, festgehalten zu werden. Denn dass eine Biografie Leser anzieht, ist weniger den Inhalten geschuldet als der Gestaltungskraft des oder der Erzählenden. Und davon hat Fasolin reichlich; auf ihr Schreibtalent kann sie sich verlassen. Wo sich die Nähe zum gelebten Stoff in einer nüchternen Erzähldistanz aufhebt, erreicht sie literarisches Niveau. «Die Abhänge und Unebenheiten passen zu einer engstirnigen, wenig gebildeten Bevölkerung. Keine Weite vor den Fenstern und keine in den Ansprüchen», schreibt sie über ihre Herkunft aus dem Tafeljura. Distanziert realistisch, reduziert auf das Wesentliche. So karg, wie ihre gelebte Kindheit war. «So ischs halt gsi», sagt Fasolin. Ob sie ihre Autobiografie gedruckt sehen möchte? Eher nicht, meint sie. Dass sie sie geschrieben hat, hat mit ihr selbst zu tun und mit der Verarbeitung von vielem, was im Laufe eines 80-jährigen Lebens danach bedarf. Schreiben hilft; die Kraft der Bewältigung liegt in der Gestaltung. Wo es – wie bei Verena Fasolin – gelingt, bleibt eine Biografie keine Datenspur, sondern füllt sich mit Leben.

Selbst schreiben

meet-my-life.net ist eine wissenschaftsbasierte Autobiografie-Plattform, die in Zusammenarbeit mit dem Institut für Sozialanthropologie der Universität Zürich betrieben wird. Meet-my-life vergibt zusammen mit der Universität auch den «Schweizer Autobiographie-Award». Wer mitmachen und selbst zur Feder greifen möchte: <link http: www.meet-my-life.net>www.meet-my-life.net

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