Die schnellste Frau Europas

Mit 513 Kilometern pro Stunde hat Jndia Erbacher aus Dornach 2019 den Europarekord im Drag- Racing aufgestellt. Ihr nächstes Ziel: in den USA Vollgas geben.

Nitromethan im Blut: Das Talent fürs Drag-Racing hat Jndia Erbacher von ihrem Vater geerbt. Foto: ZVG / Jürg Streun

Nitromethan im Blut: Das Talent fürs Drag-Racing hat Jndia Erbacher von ihrem Vater geerbt. Foto: ZVG / Jürg Streun

Drag Races sind Beschleunigungsrennen, bei denen zwei Autos in einem Rennen über eine Strecke von 1000 Fuss gegeneinander antreten. Wer mit seinem «Dragster», wie die Autos in der Szene heissen, schneller über die Ziellinie fährt, gewinnt das Rennen. So simpel sich das für Laien anhören mag: Für diese wenigen Rennsekunden betreiben Jndia Erbacher und ihr Team einen enormen Aufwand. Eine 15-köpfige Mecha­nikercrew schraubt an fünf Rennwochenenden pro Jahr ununterbrochen an ­diesem fahrenden Monster, um es noch schneller zu machen. Unglaubliche 10800 Pferdestärken bringen das 9,5 Meter lange Gefährt in 0,6 Sekunden von null auf hundert Kilometer pro Stunde, angetrieben von Nitromethan – einem flüssigen Sprengstoff, der auch für Raketentreibstoffe verwendet wird. Das kann auch gefährlich werden, doch Rennfahrerin Jndia Erbacher winkt ab: «Explosionen sind für uns normal. «Dann nimmt es uns halt mal den Motor, schlimm ist das nicht – aber teuer wird es.»

Angst vor einem Unfall kennt die 26-Jährige nicht. «Wenn du im Auto sitzt, denkst du an nichts anderes. Es ist Adrenalin pur, du bist voll konzentriert», schildert die Rennfahrerin die letzten Minuten vor dem Start. Dann geht es los: Mit Raketenantrieb versucht Erbacher ihren Dragster möglichst schnell ans Ziel zu bringen. Dabei drehen die Räder konstant leicht durch und verlieren so auch mal den Kontakt zum Boden. «Die Kunst ist es, das Auto möglichst gerade zu halten, schon kleinste Schlenker können den Sieg kosten.» Denn was die Zuschauerinnen und Zuschauer nicht sehen: Die Fahrerin muss auf der kurzen Strecke konstant gegenlenken, um das Auto nicht zu verlieren. «Ähnlich wie wenn du auf einer glatten Fahrbahn mit deinem Auto unterwegs bist. Nur dass mein Auto etwas mehr PS hat», sagt Erbacher und lacht. Beim Start wirken 6 g auf Jndias Körper, bei der Bremsung sind es sogar minus 10 g. Wer schon einmal in einer Achterbahn mitgefahren ist, der kennt das Gefühl: Beim Beschleunigen wird man so richtig in seinen Sitz gepresst und fühlt sich, als hätte man plötzlich 100 Kilo mehr auf den Rippen. Zum Vergleich: Die g-Kräfte bei Achterbahnen liegen zwischen 3 bis 4. Deshalb trainiert Erbacher regelmässig im eigenen Fitnessbereich, um der Belastung körperlich standhalten zu können.

Das harte Training zahlt sich aus: 2019 stellte Erbacher einen neuen Rekord in Europa auf. Mit einer Zeit von 3,8175 Sekunden und einem Topspeed von 513,31 Kilometern pro Stunde übertraf sie den bisherigen Rekordhalter Risto Poutianen aus Finnland, der seine Führung seit 2011 hatte halten können. Seither gilt sie als die schnellste Frau Europas, betont aber: «Ich bin nicht nur gegen Frauen angetreten. Deshalb bin ich eigentlich der schnellste Mensch Europas, denn ich habe ja auch alle Männer hinter mir gelassen.»

Fotos für den «Playboy»

Sich als Frau in einer Männerdomäne zu behaupten, ist oft nicht einfach. Doch Jndia Erbacher fühlt sich in diesem Umfeld sichtlich wohl: Letztes Jahr zog sie sich für den Schweizer «Playboy» auf der Rennstrecke aus. «Irgendwie kam in einem Geplauder einmal das Thema ‹Playboy› auf. Da sagte ich so dahin: «Ich will mal die erste Dragster-Fahrerin im ‹Playboy› sein!» Der eher als Witz gemeinte Spruch gelangte über diverse Wege zu David Musetti, Chef des «Playboys» in der Schweiz, der Erbacher zum Shooting lud.

Im Latexanzug oder im knappen pinken Bikini posierte sie daraufhin mehr als acht Stunden lang auf oder neben ihrem Dragster. «Das Shooting hat mir extrem viel Spass gemacht. Ich konnte meine weibliche Seite zeigen. Meinem Selbstbewusstsein hat das Shooting auf jeden Fall sehr gut getan.» Die Feedbacks zu den Bildern seien fast durchweg positiv gewesen. Ihre Eltern seien zu Beginn zwar etwas skeptisch gewesen, haben sie aber nicht von ihrem Vorhaben abgebracht. Fortsetzung auf Seite 2

CEO und Köchin für die Crew

Drag-Racing liegt bei Jndia Erbacher in der Familie: Ihr Vater Urs Erbacher ist sechsfacher Europameister im Drag-Racing und betreibt die «Fat Attack Custom Bikes AG» in Dornach. Als Fahrer ist er nicht mehr aktiv, er sei jedoch immer noch ein wichtiger Teil im Team. Vor Kurzem hat Jndia Erbacher ihrem Vater das Drag-Racing-Geschäft abgekauft und ist nun CEO der Jndia Erbacher Racing GmbH. «Mir war es wichtig, dass ich selbstständig als Rennfahrerin bestehen kann – unabhängig von meinem Vater», erklärt sie. So ist Jndia Geschäftsführerin, Sekretärin und Planerin der Rennen in ganz Europa, bei denen sie für ihr Team auch noch kocht, in einem. Eine Rennfahrerin, die für ihr Team kocht? «Ja», bestätigt Erbacher, «denn so kann ich meinem Team etwas zurückgeben. Alle arbeiten das ganze Jahr hindurch ehrenamtlich. Mit den Rennen verdienen wir kaum Geld.»

50000 Franken kostet ein Rennwochenende, das meiste Geld geht für die Anreise des Teams und die Autoteile drauf. «Wenn ich gewinne, locken zwar bis zu 10000 Franken Preisgeld, doch das deckt die Kosten bei Weitem nicht.» Erbacher investiert deshalb einen Grossteil der Zeit neben den Rennen in die Sponsorensuche. All das meistert die junge Unternehmerin neben ihrer 100-Prozent-Stelle bei der Motorfahrzeugprüfstation in Münchenstein. Ob ihr das nie zu viel wird? «Nein», winkt sie ab, «das Drag-Racing ist mein Hobby, meine Leidenschaft, und ich verbringe eh meine gesamte Freizeit hier.»

Durchbruch in den USA?

In Zukunft will die Rennfahrerin auch in den USA Vollgas geben. Denn dort ist der Sport weitaus bekannter, die Fahrerinnen und Fahrer der Dragster sind richtige Superstars. Statt fünf Rennen, wie hier in Europa, finden in den USA 22 Rennen pro Jahr statt. «Der Sport geniesst dort einen ganz anderen Stellenwert und natürlich gibt es auch viel mehr Fahrer.» In Las Vegas das erste Rennen zu fahren, ist ihr Ziel. Und dann, wenn alles klappt, könnte der grosse Durchbruch folgen.

Gast beim Gipfeltreffen

fam. Wer mehr über Jndia Erbacher erfahren möchte, sollte am 16. Mai um 11 Uhr beim «Gipfeltreffen» einschalten. Dort wird die Rennfahrerin neben Gastronom Jonas Rapp, Sängerin und Schauspielerin Ronja Borer und IP-Suisse-Bauer Christian Schürch zu Gast sein. Mehr Informationen unter: www.kulturduo-preusler-born.com.