Rettung für Mensch und Wespe
Die Feuerwehrmänner Roland Diener und Thomas Hänsch bewahren Menschen vor einem Wespenstich. Sie wollen aber auch die Tiere vor dem Giftakt retten.
Mit dem Staubsauger unter dem Arm nähert sich Roland Diener dem Hornissen-Nest. Der Wespen-Flüsterer war vom Hausbesitzer in Flüh – nahe dem Waldrand – gebeten worden, das Nest mit den Giftstachel-Tieren zu entfernen. Die Tiere hatten wohl keinen hohlen Baum gefunden und deswegen ihr Nest an den im Carport abgestellten Kinderwagen angebaut. Ein Nest wird von der Königin begonnen, indem sie eine Wabe fertigt aus zerkautem Holz. In das Nest legt sie befruchtete Eier, aus denen Larven schlüpfen, die sie selbst bis zur Verpuppung mit Insekten füttert. Aus diesen Larven entstehen Weibchen, die später der Königin die Arbeit abnehmen. Hornissen können mit ihrem Volk (das auf 700 Tiere anwachsen kann) umziehen, wenn es ihnen zu eng wird. Im Carport am Alemannenweg in Flüh wurde der Umzug vom Menschen verordnet. Es wurde ein Rettungsakt, zu dem Roland Diener eine Menge beisteuerte. Denn Wespen werden von Menschen oft bekämpft und zerstört mit Gift. Diener entfernt gegen eine Kostenentschädigung von 180 bis 240 Franken ein Wespennest ohne Beschädigung und transportiert es mindestens sechs Kilometer weit weg («Wespen gehen in einem Radius von zwei Kilometern auf Nahrungsflug») und bringt es an einem Ort mitten in der Natur wieder an.
«Nein, das haben wir nicht patentieren lassen», kommentiert Diener seine Staubsaugermethode. Sein Begleiter in der Wespenmission, Thomas Hänsch, ergänzt: «Im Gegenteil, wir hoffen, unser System findet viele Nachahmer – damit wäre den Wespen am meisten geholfen.» Aufklärung und Hilfestellung zu bieten, das haben die beiden zu ihrer Passion gemacht. Hänsch – Elektroingenieur und in einer zürcherischen Feuerwehr Oberleutnant – hat zwei Hobbys: Feuerwehrleute auszubilden und Wespen zu retten; und Diener begibt sichnach seiner Arbeit in der Computerwelt am Feierabend und an den Wochenenden in der Nordwestschweiz auf Wespen-Einfang-Jagd. «Wespen sind für uns Menschen nützlich, sie befreien uns von den lästigen Mücken und Fliegen», betont Hänsch. Ein Hornissenvolk erbeutet als Nahrung für ihre Brut bis zu einem halben Kilogramm Insekten pro Tag.
Immer schön ruhig bleiben
An diesem Sonntagmorgen demonstrieren Hänsch und Diener in Flüh, wie gefahrlos ein Hornissennest umgesiedelt werden kann. Ein Nervenkitzel ist es allerdings schon – vor allem eine Geduldsprobe. Ein unachtsames oder zu aufforderndes Berühren des Nestes hat zur Folge, dass die Wespen auf Verteidigungskurs gehen und dabei ganz schön angsteinflössend sein können. Im Attackenflug steuern sie auf den Menschenkopf zu und umkreisen diesen in atemberaubender Geschwindigkeit. «Ein ausgeklügeltes Showauftreten hat da die Natur entwickelt», sagt Hänsch und rührt sich – vier Meter entfernt vom Nest – nicht vom Fleck. «Nur nicht rumfuchteln», ist sein Rat. Ein Stich wäre auch gar nicht schlimm: «Die weitverbreitete Meinung, sieben Hornissen-stiche töteten ein Pferd, drei Stiche einen Menschen, ist ein Märchen. Das Gift ist sogar harmloser als jenes anderer Wespen. Der Hornissenstich wird nur schmerzhafter empfunden, weil der Stachel grösser ist und tiefer eindringt», erklärt Hänsch.
Diener ist ein Meter gewichen und hat seine gemächlichen Bewegungen zum Erstarren gebracht. «Ein paar Minuten warten und alles entspannt sich», sagt er in einer Seelenruhe, die klar macht, dass ihn wohl nichts aus der Ruhe bringt. «Warum ich das für die Wespen tue? Weil ich bis vor vier Jahren als Feuerwehrmann bei Vergiftungsaktionen mit dabei war, diese verabscheute.» Auf der Suche nach Alternativen (entdeckt in Deutschland, wo Hornissen auf der Liste der gefährdeten Arten sind und nicht ohne Bewilligung getötet werden dürfen) habe er immer grösseren Gefallen gefallen gefunden an den gelb-schwarzen Wesen. «Die eben auch ein Recht auf Leben haben.»
Langsam geht er zurück zum Nest und setzt sein Saugverfahren fort. Mit dem Staubsauger fängt er ein Tier nach dem andern ein und bringt die Hornissen auf diesem Weg durch das Rohr in die Holzkiste – den Zügelwagen. Je nach Grösse des Nestes steht Diener mit seinem umfunktionierten Staubsauger auch nach Stunden noch vor dem Nest und saugt geduldig die anfliegenden Wespen auf. Erst wenn nur noch die Königin und die Jungtiere im Nest sind, trennt Diener dieses fein säuberlich vom Kinderwagen ab und klebt es im mitgebrachten Nistkasten an die Rückwand. (Um auf sein ganzes Materialsortiment zurückgreifen zu können, geht Diener mit einem Pferdeanhänger auf Achse.)
Einrichten im neuen Daheim
Die Zügelkiste mit den fleissigen Arbeiterinnen kommt auch in den Nistkasten. Das neue Heim wird dann an einem mit dem Landbesitzer vereinbarten Naturort befestigt. Durch ein Ziehen am Schnürchen geht das Türchen des Zügelwagens auf und alle Wespen sind in ihrem neuen Daheim vereint. Sie können nun weiterleben bis zu ihrem natürlichen Tod im Herbst. Überwintern können nur begattete jungen Königinnen. Sie bleiben nicht im alten Nest, sondern suchen sich im Frühjahr einen neuen Ort – und sollte dieser den Menschen ein Dorn im Auge sein, nicht mit Gift verzagen, sondern Diener und Hänsch fragen.