Experten reden Klartext

Wie bekommt die Schweiz die Kostenexplosion im Gesundheitswesen in den Griff? Die EGK-Gesundheitskasse bat hochkarä- tige Fachleute aus dem Gesundheitswesen zur Debatte.

<em>Kenner der Materie: </em>(v.l.) Stefan Kaufmann, Willy Oggier, Dieter Conen, Serge Gaillard, Verena Nold Rebetez, Tobias Eichenberger.Foto: zvg
<em>Kenner der Materie: </em>(v.l.) Stefan Kaufmann, Willy Oggier, Dieter Conen, Serge Gaillard, Verena Nold Rebetez, Tobias Eichenberger.Foto: zvg

<i/>Jedes Jahr ist es dasselbe: «Prämienschock» titeln die Zeitungen, die mittelständischen Familien rechnen nach, ob die Ferien mit den höheren Krankenkassenprämien noch drinliegen wie geplant, und schliesslich debattieren die Politiker darüber, wie der Anstieg der Gesundheitskosten gebremst werden könne.

Die Laufner Krankenkasse EGK-Gesundheitskasse hat die Diskussion für einmal nach Laufen geholt: An ihrem 11. Partneranlass lud sie hochkarätige Gäste ins Kulturzentrum Alts Schlachthuus, um unter Moderation des prominenten Gesundheitsökonomen Willy Oggier zu debattieren. Mit dem Direktor der Eidgenössischen Finanzverwaltung, Serge Gaillard, referierte in Laufen einer, der sich ein Leben lang mit der Frage beschäftigt hat, wie man das Gesundheitssystem so gestalten kann, dass es sowohl den sozialen als auch den finanziellen Ansprüchen gerecht wird.

Er brach in Laufen eine Lanze für die Einführung von Globalbudgets. Ein solches käme einem Kostendach gleich: Denn gedeckt wären die Kosten immer nur zu einem vorgegebenen Betrag. Wer mehr anbietet, verdient in einem solchen System nicht automatisch mehr.

«Staatsversagen»

Gaillard verglich das jetzige System mit einer Politik ohne jegliche Kostenbremse. Man müsse sich eine Regierung vorstellen, die ihr Budget nicht vom Parlament absegnen lassen müsse und die automatisch die Steuern erhöhen könne, ohne das Volk fragen zu müssen, erklärte der Ökonom. «Es gibt immer tausend gute Ideen und Dinge, die man auch noch machen könnte», veranschaulichte er das Problem. Ohne Budgetkontrolle werde am Ende einfach alles gemacht und die Kosten auf die Bevölkerung überwälzt. Genau das sei die derzeitige Situation im Gesundheitswesen.

Bei der Direktorin des Branchenverbands Santésuisse, Verena Nold Rebetez, stiess er damit auf Gegenwehr. Das Versagen liege weder bei den Anbietern noch bei den Versicherern, sondern bei der Politik. Diese habe es auch im jetzigen System in der Hand, Kosten zu senken, und zwar ganz konkret: der Bund bei den Medikamentenpreisen, die Kantone bei der Spitalplanung. Und genau in diesen beiden Punkten versage der Staat seit Jahren. Hier gebe es genug zu tun, bevor man sich daran mache, die medizinischen Leistungen unter dem Deckmantel der Rationalisierung zu rationieren, lautete ihr Fazit.

«Zu viele verdienen ohne Leistung»

Auch in der medizinischen Praxis kommt die Idee der Ökonomen nicht gut an. «Wir sprechen zu viel über die Kosten und zu wenig über den Nutzen», sagte Tobias Eichenberger, Präsident der Ärztegesellschaft Baselland. Wer wegen Krankheit nicht arbeiten könne, koste die Gesellschaft wesentlich mehr als jemand, der eine teure, aber gute Behandlung in Anspruch nehme. Globalbudgets seien Gift für die Beziehung zwischen Arzt und Patient, so Eichenberger weiter: Letzterer müsse sich nämlich über- legen, ob ihm aus medizinischen oder wirtschaftlichen Gründen von einer Behandlung abgeraten werde. Als Mann der Praxis sieht Eichenberger Sparpotenzial in der Administration: «Es gibt im Gesundheitswesen zu viele, die verdienen, ohne Leistungen zu erbringen», wurde er deutlich.

Stefan Kaufmann, stellvertretender Geschäftsleiter der EGK-Gesundheitskasse, warnte dagegen vor einem «Weiter wie bisher». Denn dann gebe es anstelle der grossen Korrektur unzählige kleine, und das würde heissen: immer mehr immer detailliertere Vorschriften. Als Herausforderung sieht er die Fehlanreize im System. «Wenn Leute im Herbst anrufen und fragen, wie viele Leistungen sie noch zugute haben, ist das vielleicht ein Indiz dafür, dass etwas falsch läuft», sagte er.

Den Advokaten des Teufels mimte Ökonom Willy Oggier. Immer wieder wies er die Debattanten darauf hin, dass das von allen Seiten kritisierte Krankenversicherungsgesetz eine präzise Umsetzung des Volkswillens darstelle. Globalbudgets, Einheitskasse, einkommensabhängige Prämien – über all das sei immer wieder abgestimmt worden, und stets habe sich der Souverän zum eingeschlagenen Weg bekannt. Das Resultat sei eines der besten Gesundheitssysteme der Welt, dessen Kosten sich im europäischen Rahmen bewegten. Alles in Ordnung also?

«Soziale Sprengkraft»

Nicht wirklich, glaubt man Dieter Conen von der Stiftung für Patientensicherheit. Denn das Problem treffe nicht alle gleich. «Die Prämien steigen, die Löhne nicht, und das seit Jahren», brachte er die Drangsal der unteren Mittelschicht auf den Punkt. Gleichzeitig ziehe sich der Staat längst wieder aus der Prämienverbilligung zurück. Das gehe lange gut, aber nicht ewig, warnte Conen. «Wir sprechen von massiven Belastungen bis weit in den Mittelstand hinein: Das birgt soziale Sprengkraft.»