Einmal zum Weltenbaum und zurück
Der Roggenburger Piero Onori liebt es, in fremde Welten einzutauchen: jene der südamerikanischen Indianer, jene der Nachkommen der afrikanischen Sklaven in Brasilien, jene der Mythologie. Am nächsten Donnerstag erzählt er Geschichten aus einem reichen Leben.

Zehntausend Kilometer von Roggenburg entfernt, im Urwald Südamerikas, steht ein Berg, der einmal ein Baum war. So erzählen es nicht die Geologen, sondern die Menschen, die seit Urzeiten im Dschungel an der Grenze von Venezuela zu Brasilien leben. Einst sei hier der Weltenbaum gewachsen, bevor ihn die ersten Menschen umgehauen hätten aus lauter Gier. Seitdem sei auf der Erde nichts mehr so, wie es eigentlich sein sollte.
«Es erinnert ein bisschen an Adam und Eva», sagt Piero Onori und lächelt gedankenversunken. Er tut es oft an diesem kalten Nachmittag auf der «Wochenblatt»-Redaktion. Die Gedanken sammeln sich hinter seiner Stirn, leuchten kurz auf in den wachen braunen Augen, sprudeln dann in feinem Baseldeutsch hervor. Piero Onori sieht aus, wie man sich einen intellektuellen Tausendsassa vorstellt, und wenn er seine Gedanken zu Ende gebracht hat, weiss man, dass er einer ist.
Seine Geschichte beginnt am Realgymnasium in Basel, wo er als Schulkamerad Bruno Mansers in eine Generation hineinwächst, die die Welt verändern will. Während der eine mit dem Fallschirm über dem Dschungel Borneos abspringt, versucht es Onori auf dem traditionellen Weg, studiert Deutsch, Geschichte, Philosophie. Dann fährt auch er in die Welt hinaus, in den Dschungel Brasiliens, zum Berg Roraima, dem Strunk des gefällten Weltenbaums.
Wer Piero Onori zuhört, taucht ein in eine Welt der Geschichten, ungeahnter Zusammenhänge, in der einfachsten Details wie einem Musikinstrument oder einer alten Fotografie plötzlich etwas Magisches anhaftet. Onori war in Äthiopien und studierte dort alte biblische Handschriften, er stieg im Auftrag des Parlaments auf den Spuren der Schweizer Geheimdienste in südafrikanische Archive, und dazwischen unterrichtete er seine Schüler an der regionalen Musikschule Laufental-Thierstein.
All das schlummert nun in seiner Sammlung in Roggenburg, wo Onori lebt. Zusammen mit dem weltbekannten russischen Autor Michail Schischkin und dem Laufner Landrat und Schriftsteller Linard Candreia ist er gerade dabei, Schreibende aus der Region zusammenzubringen. Und irgendwo in einer Schublade lagert noch ein 800-Seiten-Roman.
«Heimaten der Seele»
In Brasilien stiess Onori auch auf die Geschichte der Quilombos, der in zahlreichen historischen Dokumenten beschriebenen Dschungelstädte der entlaufenen Sklaven, die den portugiesischen Herren erbitterten Widerstand entgegensetzten. Und auf den Kampftanz Capoiera, der seine Wurzeln in diesen freien schwarzen Städten hat. Längst ist dieser zum Trendsport geworden, seine Geschichte ist auf dem Weg dahin weitgehend in Vergessenheit geraten. Nicht so bei Onori, der sie dokumentiert und aufgeschrieben hat.
Der Weltenbaum Roraima, die afrikanische Urheimat der Sklaven, für Onori haben sie eines gemeinsam: «sie sind Heimaten der Seelen – und Seelenheimat.» Wenig erstaunlich ist deshalb, dass in Brasilien auch der griechische Mythos von Orpheus und Eurydike eine Wiedergeburt erfahren hat, etwa im brasilianischen Film Orfeo Negro.
Eine Komposition aus diesem Film bringt Onori jetzt ins Schlachthuus. Es ist eine reiche innere Welt, die da über ein bewegtes Leben gewachsen ist. Nun öffnet Onori sie für das Publikum.