«Wir haben eine Nische gefunden»

Im Chratten erhalten Menschen mit einer Suchterkrankung seit fast 50 Jahren die Ruhe, die sie brauchen. Ihnen wird gleichzeitig dabei geholfen, wieder in eine geregelte Tagesstruktur zu finden.

Ruhe in der Natur: Weit weg von jeglichem Trubel helfen auch Tiere den suchtkranken Menschen dabei, neues Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl zu entwickeln. Chratten-Leiter Fridolin Wyss und die Sozialarbeiterin und Reittherapeutin Denise Krein
Ruhe in der Natur: Weit weg von jeglichem Trubel helfen auch Tiere den suchtkranken Menschen dabei, neues Selbstvertrauen und Verantwortungsgefühl zu entwickeln. Chratten-Leiter Fridolin Wyss und die Sozialarbeiterin und Reittherapeutin Denise Krein mit den drei Eseln Olivia, Helvetia und Salami. Foto: melanie Brêchet

Das Konzept des Chratten hat sich vor eineinhalb Jahren grundlegend verändert. Es musste sich verändern, denn die klassische Suchttherapie, wie sie in Oberbeinwil zuvor angeboten wurde, sei immer weniger gefragt gewesen, sagt Chratten-Leiter Fridolin Wyss. Menschen mit einer Abhängigkeitserkrankung hätten sich für Therapien in Kliniken entschieden, da diese über die Krankenkasse einfacher abgerechnet werden können. Andere wiederum nehmen eine ambulante Therapie in Anspruch. Im Chratten laufe die Finanzierung über IV und die Sozialhilfe, was mit grösserem Aufwand verbunden sei. «Die Nachfrage war darum nicht mehr gross, wir mussten sogar Mitarbeitende entlassen.»

Aus der Not habe man sich dazu entschieden, das Angebot anzupassen: Im Chratten stehen nun die Themen Auszeit und Integration im Fokus. «Selbstverständlich arbeiten wir immer noch therapeutisch, können unsere Klientinnen und Klienten mit Medikamenten versorgen und stehen mit einem Konsiliarpsychiater in engem Kontakt, von klassischen Therapien haben wir uns aber verabschiedet.» Dafür biete Denise Krein mehrmals wöchentlich eine Reittherapie an, und es werde bewusst darauf geachtet, dass Sport getrieben wird: Man ­besuche zweimal wöchentlich das ­Fitnesscenter in Breitenbach oder mache ausgiebige Spaziergänge oder Eseltrekking.

Mit diesem Angebot spreche man bewusst auch Menschen an, welche eine klassische Suchttherapie ablehnen oder solche bereits erfolglos absolviert haben. «Eine klassische Suchttherapie dauert ein Jahr.», erklärt Wyss. «Bei uns können die Klientinnen und Klienten so lange bleiben, wie es nötig ist. Das kann drei Monate dauern oder eben auch länger. Damit haben wir eine Nische gefunden.»

Der Mensch im Fokus

Im Chratten sollen sich die Leute an geregelte Tagesstrukturen halten. So kaufen die Klientinnen und Klienten selber ein, kochen, putzen, erledigen Gartenarbeit, reparieren Mobiliar oder pflegen die Esel auf dem Hof. Jeder und jede habe seine Vorlieben, die einen kochen lieber, andere kümmern sich gerne um die Tiere oder sind handwerklich begabt.

Strukturierte Abläufe seien dabei das A und O, sagt Wyss, es stehe den Leuten aber auch frei, sich zurückzuziehen. Viele der Klientinnen und Klienten im Chratten seien nämlich eher Einzelgänger und würden ihren Rückzug brauchen. Sozialarbeiterin Denise Krein ergänzt: «Oft leiden unsere Klientinnen und Klienten an einer Kombination aus verschiedenen Krankheitsbildern, auch psychische Erkrankungen spielen hier eine Rolle. Dem wollen wir hier gerecht werden.»

Die momentan elf Klientinnen und Klienten geniessen auch viele Freiheiten: Sie dürfen an den Wochenenden nach Hause oder in den Ausgang, dabei werden sie auf Wunsch auch begleitet. «Rückschläge gibt es dabei natürlich auch, aber wir können die Leute hier oben nicht dauernd abschotten, das Ziel muss es ja sein, dass sie wieder ein selbstständiges Leben führen können. Dafür müssen sie auch Selbstverantwortung zeigen», sagt Fridolin Wyss. Der Chratten betreibt aus diesem Grund auch Wohnungen in Breitenbach und Umgebung, wo die Klientinnen und Klienten den Einstieg in die suchtfreie Selbstständigkeit in Begleitung üben können.

Die meisten der Leute, die aktuell im Chratten wohnen, sind über 40 Jahre alt. Fast alle haben schon mehrere Versuche, von ihrer Sucht wegzukommen, hinter sich. Es sind unterschiedlichste Substanzen, die bei den Klientinnen und Klienten des Chratten zur Sucht geführt haben: Amphetamine, Heroin, Kokain, übermässiger Cannabiskonsum. Droge Nummer eins sei jedoch der Alkohol, sagt Wyss.

«Ich werde hier für voll genommen»

Eine Klientin, die ebenfalls wegen ­einer Alkoholsucht den Alltag nicht mehr meistern konnte, ist die 39-jährige Gabriela. «Ich habe massiv getrunken, was zu untragbaren Zuständen geführt hat», sagt sie. «Ich konnte meine Termine nicht mehr wahrnehmen und stand gesellschaftlich im Abseits. Ich habe mich darum entschieden, hierher zu kommen.

Auch Gabriela hat schon gescheiterte Therapien hinter sich. Im Chratten fühle sie sich jetzt aber sehr wohl: «Ich konnte meinen Hund mitnehmen, was mir sehr wichtig ist. Und ich schätze die Abgeschiedenheit — hier komme ich nicht in Versuchung, wieder zu trinken. Hier werde ich — anders als ich es in einer Klinik erfahren habe — für voll genommen und als Mensch behandelt.» Gabriela ist im Chratten unter anderem für die Esel zuständig: «Ich liebe die Natur und mag Spaziergänge mit den Eseln und meinem Hund. Ausserdem bin ich oft in der Küche anzutreffen, denn ich koche sehr gerne», sagt sie weiter. «Ich bin jetzt seit zwei Monaten hier, habe klar formulierte Ziele und kann jetzt schon wieder Auto fahren«, sagt sie stolz. «Ich will nie wieder trinken.»

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