Vermisst wird der Kompromiss

In Rodersdorf streitet man sich um Projekte, um die Politkultur und um Gemeinderatssitze.

Neue Gruppierung: (v.l.) Dominik Sigrist, Patricia Brenta und Thomas Bürgi. Foto: zvg
Neue Gruppierung: (v.l.) Dominik Sigrist, Patricia Brenta und Thomas Bürgi. Foto: zvg

Politisiert die Exekutive von Rodersdorf an der Bevölkerung vorbei? Diese Frage warf das Abstimmungsresultat vom 31. Januar auf. Von sechs Vorlagen waren vom Stimmvolk drei abgelehnt worden. «Es spiegelt die Problematik wider, die im Gemeinderat herrscht», sagt Statthalter Roland Matthes (FDP) auf Anfrage. «Das Ringen um Kompromisse kommt zu kurz, die Sozialdemokraten setzen ihre Vorstellungen mit vier gegen drei Stimmen durch.» Die Machtkonzentration verleite dazu, Bedenken zu übergehen, gibt Matthes zu bedenken.

Vor 20 Jahren war es umgekehrt. Damals war die SP in der Opposition und schob hin und wieder den Riegel mit Aufsichtsbeschwerden. Die Sozialdemokraten, die jetzt an der Macht sind, bekommen ebenfalls Widerstand zu spüren — allerdings nicht aus dem bürgerlichen Lager, sondern von einer neuen Gruppierung, die sich «Zämmestoh für Rodersdorf» nennt. Diese hatte für ein Nein zum Kredit für die Nutzungsplanung geworben und obsiegte. Es geht nicht nur darum, dem ­Gemeinderat einen Denkzettel zu verpassen, sondern stille Wahlen zu verhindern. Mit drei Kandidierenden sorgt die neue Gruppierung dafür, dass Rodersdorf bei den Gemeinderatswahlen vom April eine Auswahl bekommt.

Initiant der Bewegung, Thomas Bürgi, sieht sich sozial-liberal, er war einst Nationalratskandidat für die SP. Er sagt, das alte Links-Rechts-Schema sei nicht tauglich auf Dorfebene. Zur Bewältigung der Aufgaben einer Gemeinde brauche es Frauen und Männer mit Fach- und Sachverstand, ohne politische Scheuklappen. «Patricia Brenta ist Bildungsfachfrau mit grosser Erfahrung im Sozialbereich, ­Dominik Sigrist ausgewiesener Baufachmann, beide mit Leitungs- und Führungsausweis. Ich selber habe Unternehmen gegründet, Organisationen geleitet und meine Erfahrungen an Master-Studierende weitergegeben», sagt Bürgi. «Wir sind bereit, unsere Kompetenzen im Gemeinderat einzubringen und die hohen Anforderungen, die das Ressortsystem stellt, zu erfüllen.»

Bürgi — er ist Hochschuldozent für Organisationsentwicklung und Führung — hat sich von der Politkultur der Gemeindepräsidentin und ihrer Berater ein umfassendes Bild gemacht. Als Gast habe er an vielen Gemeinderatssitzungen teilgenommen und musste feststellen: «Wichtige Einwände der anderen Seite werden nicht als Bereicherung der Diskussion, sondern als Angriffe empfunden, die abgeblockt werden.» Damit würden zukunftsweisende Konsenslösungen verunmöglicht. Will man eine Gemeinde weiter bringen, «muss ein Gemeinderat als Team funktionieren», sagt Bürgi. Er, Dominik Sigrist und Patricia Brenta stünden ein für eine neue politische Kultur in der Gemeinde Rodersdorf. «Für ein Miteinander, statt einem Gegeneinander, und für das Öffentlichkeitsprinzip. Projekte müssten mit Sachverstand und Vor­aussicht geplant und umgesetzt werden.» Im jetzigen Gemeinderat würden Projekte ohne klare Planung, ohne ausreichende Kommunikation und mit unübersehbaren Kostenfolgen angegangen. «Eine Vielzahl von nichtöffentlichen Sitzungen mit nichtöffentlichen Protokollen ist die Folge», stellt Bürgi fest.

Das brachte Vertrauensverlust — wie die Abstimmung zeigte. Jedenfalls verweigerte das Stimmvolk dem Gemeinderat den Kredit für die Fortsetzung der Nutzungsplanung. Bürgi meint dazu: «Es wird immer deutlicher, dass im Gemeinderat mehrheitlich an einem externen Planer aus Bern festgehalten wird, dessen Arbeit unsere Gemeinde teuer zu stehen kommt. Das bisherige Ergebnis ist ungenügend. Der Vorprüfungsbericht des Kantons vom 4. November 2020, der die eingereichte Nutzungsplanung Rodersdorf beurteilt, hält die Mängel in aller Deutlichkeit fest.» Die Ratsmehrheit verweigere die Offenlegung. «Andere Gemeinden im Kanton Solothurn haben diesen Bericht eine Woche nach Eingang auf ihrer Website aufgeschaltet», gibt Bürgi zu bedenken.

Probleme einer Abstimmung an der Urne

Gemeindepräsidentin Karin Kälin weist die Vorwürfe zurück: «Das Amt für Raumplanung in Solothurn hat uns davon abgeraten, den Bericht zu veröffentlichen. In einer Nutzungsplanung ist die Gefahr gross, dass Betroffene ihre Interessen durchsetzen möchten und sogar Druck ausüben auf die Behörde. Dem muss man standhalten, erst recht wenn Betroffene die Bemühungen intensivieren, ihren Einfluss geltend zu machen.» Kälin sieht in dieser Problematik auch die Gründe für das Nein bei der Abstimmung. «Betroffene, die mit Entscheidungen des Gemeinderates nicht einverstanden waren, haben keinen Aufwand ­gescheut, Stimmung gegen die Vorlagen zu machen.» Weil die Gemeindeversammlung zum Schutz der Bevölkerung vor dem Coronavirus an die Urne verlegt werden musste, setzte sich das Unbehagen durch. «Missverständnisse konnten nicht aufgeklärt und Falschaussagen nicht klargestellt werden», gibt Kälin zu bedenken. Die Unterstellung, dass sie und weitere SP-Ratsmitglieder nicht Hand bieten würden für gemeinsame Lösungen, sei nichts anderes als schlechter Stil mitten im Wahlkampf. Bei einer Nutzungsplanung sei das Vorgehen klar geregelt und daran hielten sich die Behördenmitglieder. Deswegen gelte: Im Mitwirkungsverfahren können Betrof­fene ihre Wünsche anbringen. Vorwürfe gegen den Planer seien ebenfalls absurd dieser sei ein ausgewiesener Fachmann, der sogar Lücken in der kantonalen Gesetzgebung aufzeigte.

Bürgi sieht es anders: Eine Behörde könne das Mittel des «runden Tisches» für Betroffene und Interessierte einsetzen. «Mitwirkung darf nicht länger eine leere Zusage bleiben.» Für ein nachhaltiges, breit abgestütztes Projekt Nutzungsplanung brauche es jetzt ein kurzes Vorprojekt, das den Umfang der ausstehenden Arbeiten aufzeige und den Kostenbedarf ermittle, skizziert Bürgi. Dies müsse durch ein erfahrenes Planerbüro erfolgen, welches später nicht am Planungswettbewerb teilnehme. Danach müsse der Gemeindeversammlung ein Kreditbegehren unterbreitet werden. Und erst dann könne man einen Wettbewerb ausschreiben. Einen solchen hat der Gemeinderat von Rodersdorf vor der Abstimmung lanciert. «Dieses Verfahren verzögert sich nun natürlich», räumt ­Kälin ein. Zur Klärung will Bürgi den ­Gemeinderat verpflichten, den Vorprüfungsbericht des Kantons Solothurn ­offenzulegen, so wie es das Öffentlichkeitsprinzip des Kantons vorsieht. In Angriff nimmt er dies mit einer Motion.