Zuzüger aus dem Oberrheintal brachten Hochdeutsch ins Birstal

Im Reinacher Ortskern wurden weitere 17 Gräber aus dem Frühmittelalter entdeckt. Sie stammen von Zugezogenen aus dem Oberrheintal und sind besonders wertvoll.

«Archäologisches Eldorado»: Die Archäologinnen legten an der Baselstrasse ein Männergrab frei und stiessen dabei auf ein Schwert und ein Keramikgefäss, die dem Grab beigelegt wurden. Fotos: ZVG / Archäologie Baselland

«Archäologisches Eldorado»: Die Archäologinnen legten an der Baselstrasse ein Männergrab frei und stiessen dabei auf ein Schwert und ein Keramikgefäss, die dem Grab beigelegt wurden. Fotos: ZVG / Archäologie Baselland

Keramikgefäss: Die Kanne ist mit Stempelmustern verziert.

Keramikgefäss: Die Kanne ist mit Stempelmustern verziert.

Die Existenz eines frühmittelalterlichen Gräberfelds im Rankhof in Reinach ist seit gut hundert Jahren bekannt. Eine Notgrabung der Archäologie Baselland zwischen Neumatt- und Baselstrasse konnte nun aber eine wichtige Kenntnislücke schliessen. Die 17 neu entdeckten Gräber mitsamt Skeletten stammen aus der Frühzeit des Friedhofs und zeigen erstmals, dass sich um 550 nach Christus Personen aus dem Oberrheingebiet in der
Region ansiedelten. Als Beweis, dass es sich bei den Bestatteten um Zuzüger handelte, dienen den Archäologen die reichen Beigaben in den Gräbern, die sich deutlich von den Beigaben bei einheimischen Bestattungen unterscheiden würden. «Es war für die Menschen hierzulande völlig untypisch, dass den Toten Waffen in die Gräber gelegt wurden. Das kam vermutlich aus dem Gebiet des Oberrheintals», erklärt Kantonsarchäologe Reto Marti. In den Gräbern wurden Lang- und Kurzschwerter, Lanzen, eine sogenannte «Franziska» (fränkische Wurfaxt) und zahlreiche Keramikgefässe gefunden. Gemäss den Beilagen – insbesondere den Langschwertern in zwei Gräbern – müsse es sich bei den Bestatteten um wohlhabende Personen gehandelt haben.

Mit den neusten Funden wurden die Zuzüger vor rund 1500 Jahren aus dem Norden erstmals direkt fassbar. Die Funde sind wissenschaftlich von grösstem Interesse, schwärmt Kantonsarchäologe Marti. «Sie geben einen einzigartigen Einblick in eine ganz entscheidende Phase in der Geschichte des heutigen Ortes.» Rinacum ist ein gallorömischer Name, der die Zeiten nur überdauern konnte, weil der Ort seit rund 2000 Jahren, also seit der Römerzeit, kontinuierlich bewohnt blieb. Diese Kontinuität verlief jedoch nicht ohne Brüche, was auch dank der neusten Funde ersichtlich wird. Die Zuzüger aus dem Oberrheingebiet verliehen der Siedlung im Birstal zusätzlichen Schub, wodurch sie sich stark ausdehnte. Reinach blühte durch die Zuwanderung auf. Schon im siebten Jahrhundert erstreckten sich bebaute Grundstücke über eine Distanz von über 300 Metern entlang einer Nord-Südstrasse durchs Birstal, die vermutlich auf die Römerzeit zurückgeht. Wurde bis dahin im Gebiet Lateinisch gesprochen, brachten die Zuzüger aus dem Oberrheintal Althochdeutsch in die Region.


Rinacum: Ein Ausnahmefundort

Seit rund 30 Jahren dokumentiert die Archäologie Baselland im Ortskern von Reinach die im Untergrund vorzüglich erhaltenen früh- und hochmittelalterlichen Siedlungsspuren. Vor den 1980er- Jahren kannte man in Reinach einige Gräber des späteren sechsten und siebten Jahrhunderts und schloss aus dem alten, vorgermanischen Ortsnamen Rinacum, dass der Ort seit der Römerzeit besiedelt ist. Seither sind inmitten des alten Ortskerns jedoch so viele Funde gemacht worden, dass Reinach archäologisch längst nicht mehr als Normalfall gelten kann. Reinach ist einer jener seltenen Fälle geworden, wo Archäologen frühmittelalterliche Besiedlung nicht nur vermuten, sondern archäologisch detailliert nachweisen können. Kantonsarchäologe Reto Marti spricht deshalb von einem «archäologischen Eldorado». Noch gebe es viele verborgene Schätze im Boden. Deshalb seien die Archäologen bei Bauprojekten in Reinach besonders aufmerksam.

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