Die etwas andere Schule
Der Reinacher «Lernort Erle», das Herzensprojekt von Martina Miedaner, geht in der Bildung neue Wege.
Sozial sollte ihr Beruf sein. Also schnupperte Martina Miedaner zunächst Krankenschwestern- und anschliessend Sozialpädagoginnenluft. Mit dem Spital wurde sie aber nicht so recht warm. Und die Sozialpädagogik gefiel ihr zwar, enthielt ihr aber zu viel Administrativarbeit. Also wurde sie Lehrerin.
«Der Lehrerinnenberuf entsprach mir schliesslich voll und ganz», sagt die Leiterin des im vergangenen Sommer eröffneten «Lernort Erle» in Reinach, der auf dem Gelände der Stiftung Erlenhof liegt. Wobei sie streng genommen gar keine Lehrerin mehr ist. Die Personen, die seit vergangenem Sommer am Lernort Erle unterrichten, nennen sich nämlich «Lernbegleiter», von denen jede und jeder für nicht mehr als sieben bis neun Kinder zuständig ist.
Unterrichtet wird in der als Verein organisierten Schule nach einem Konzept, das in der Region neu ist. Die Kinder besuchen sie während dreier Tage und lernen zwei Tage zu Hause. Die Familien werden dabei eng von den Lernbegleiterinnen und Lernbegleitern unterstützt.
Je länger sie unterrichtet habe, desto mehr sei ihr bewusst geworden, dass die reguläre Volksschule nicht allen Kindern gerecht werden könne: «Die grossen Klassen in der Volksschule verunmöglichen es, individuell und ganzheitlich auf die Kinder einzugehen.»
Das sei nicht nur für die sehr engagierten Lehrpersonen und Schulleitenden frustrierend, sondern insbesondere für die Kinder, denn: «Kinder sind eigentlich neugierig und motiviert zum Lernen.» Doch manche würden ihre Neugier und Motivation verlieren, «weil ihrer individuellen Entwicklung nicht genügend Raum gegeben werden kann», ist Miedaner überzeugt. Besonders hebt sie ihre Entdeckung und Beschäftigung mit der «bindungsbasierten Entwicklungspsychologie» des kanadischen Psychologen Gordon Neufeld hervor.
Vertrauensvolle Beziehung zur Lehrperson ist wichtig
Sie betont die Bedeutung des Verhältnisses zur Lehrperson. Ein Aspekt, der für Miedaner in der Volksschule zu kurz kommt: «Schon in der Primarstufe gibt es heute für fast jedes Fach eine separate Lehrperson.» Das mache es für Kinder schwierig, eine vertrauensvolle Beziehung zu ihren Lehrpersonen aufzubauen.
Dies habe ihren Mann und sie dazu bewogen, mit ihrem Sohn einen anderen Bildungsweg zu beschreiten und ihren Sohn in Basel selber zu unterrichten – ein bewilligungspflichtiges Unterfangen, das vom Erziehungsdepartement nur in Ausnahmefällen erlaubt wird. Miedaners Fall war für jenes keine solche Ausnahme. «Das war sehr frustrierend», erinnert sie sich, «denn eigentlich wollten wir in Basel bleiben.»
Vom Selbstversuch zur eigenen alternativen Schule
Um sich den Wunsch, ihren Sohn selber zu unterrichten, zu erfüllen, zog die Familie 2012 ins elsässische Biederthal, wo sie auch ihre 2013 geborene Tochter bis im letzten Sommer unterrichtet hat. In Frankreich ist Home-Schooling nämlich erlaubt. Zu sehen, wie ihre Kinder mit dem in der Schweiz noch kaum anerkannten Bildungsweg lernen und aufwachsen, habe sie bestätigt, für sich und ihre Kinder auf dem richtigen Weg zu sein.
Fortan bot sie neben ihrer Teilzeitbeschäftigung als Lehrerin auch altersgemischte Lerngruppen bei sich zu Hause an und beriet Eltern im Home-Schooling. Die Anfragen hätten mit den Jahren so stark zugenommen, dass sie irgendwann nicht mehr alle bedienen konnte. «Da ist die Idee entstanden, eine eigene Schule zu gründen, die auf einer Kombination des Lernens in der Schule und zu Hause aufbaut», erzählt sie.
Als sie schliesslich im Herbst 2020 dem Baselbieter Amt für Volksschulen ein Konzept für eine eigene alternative Schule eingereicht hatte, sei sie auf Wohlwollen gestossen. «Nach einigen Nachbesserungen wurde das Konzept vor Weihnachten bewilligt.»
Auch einen Kindergarten wird Miedaner ab kommendem Schuljahr anbieten. «Ich freue mich sehr, dass dann die Kleinsten viel wertvolle Familienzeit mit ihren Eltern zusammen geniessen können.»