Wenn das Warten zur emotionalen Belastungsprobe wird

Am 18. Oktober fand bei neuestheater.ch die Premiere von Becketts «Warten auf Godot» statt. Die Inszenierung von Georg Darvas ist konsequent und klar, die schauspielerische Leistung überragend.

Menschliche Abgründe: Estragon (Hans-Jürg Müller, l.) und Wladimir (Vincent Leittersdorf, r.) sind schockiert darüber, wie herzlos Herr Pozzo (Andrea Bettini, Mitte) mit seinem Sklaven Lucky (Florian Müller-Morungen, hinten) umgeht.  Foto: ZVG
Menschliche Abgründe: Estragon (Hans-Jürg Müller, l.) und Wladimir (Vincent Leittersdorf, r.) sind schockiert darüber, wie herzlos Herr Pozzo (Andrea Bettini, Mitte) mit seinem Sklaven Lucky (Florian Müller-Morungen, hinten) umgeht. Foto: ZVG

Seit 1954 gehört Samuel Beckets Stück «Warten auf Godot» zum festen Repertoire deutschsprachiger Bühnen. Früh fragte man sich, wer mit Godot gemeint sei. Ist es «God» oder seine französische Verkleinerungsform «Godot», steckt darin «Charlot», also Chaplin, oder weist die letzte Silbe in umgekehrter Lesung auf den Tod hin? Becket selbst hätte sich gegen solch symbolistische Erklärungen verwehrt. Godot ist Godot, Schluss. Keine Erklärung, kein tieferer Sinn.

Georg Darvas’ Inszenierung verspricht keinen gemütlichen Theaterabend. Das unerträgliche Warten von Wladimir und Estragon, der Auftritt von Herr Pozzo und seinem Knecht Lucky lassen es auf der Bühne unbehaglich werden. Das Publikum wird nicht geschont. Es leidet an der Reduktion auf letzte existenzielle Sätze. Die psychologische Nacktheit der Figuren, die Schärfe unmetaphorischer Dialoge, das Schreien auf der Bühne und die Brutalität der Protagonisten schmerzen. Für Beckett war dies alles nur ein Spiel. Nur seine Interpreten ertrugen es nicht, darin keinen Ernst zu sehen.


Hervorragende Besetzung

Wladimir und Estragon, die beiden auf einer Landstrasse Wartenden, sind nicht zwillingshaft gestaltet, sondern unterscheiden sich in Wesen und Kleidung. Wladimir, genannt Didi, ist der Aufgekratztere, ja fast Hypomanische; Estragon, kurz Gogo, das depressive Opfer nächtlicher Angriffe. Die Jämmerlichkeit beider erinnert an den frühen Chaplin, der beim Publikum noch in den absurdesten Szenen das Gefühl von Wärme evozierte. Georg Darvas kitzelt den Reichtum der beiden Figuren heraus, der im zweiten Akt langsam erlöscht und zur Sprachlosigkeit führt. Sowohl Vincent Leittersdorf (Wladimir) als auch Hans-Jürg Müller (Estragon) interpretieren die Figuren glaubwürdig und mit oft verstörender Explosivität.

Das Machtgefälle zwischen Pozzo und Lucky wird durch die gelungene Besetzung noch deutlicher gemacht. Der zynische Herr Pozzo wird durch den grossen und fest gebauten Andrea Bettini grossartig gespielt. Florian Müller-Morungen, der Lucky spielt, scheint als schmaler Wurf neben ihm richtiggehend zu verschwinden. Luckys stoische Anhänglichkeit an seinen unerträglich brutalen Herrn schmerzt umso mehr, als Wladimir und Estragon vom anfänglichen Mitleid zur Häme und zur Gewalt gegenüber Lucky wechseln. Hier «bricht Sozialtragödie in das Geschehen ein», schreibt Darvas, Wladimirs und Estragons «Leiden ist Ungewissheit, Warten. Die von Lucky und Pozzo ist gegenseitige Zerstörung». So heisst es im Stück: «Aber in dieser Gegend und in diesem Augenblick sind wir die Menschheit, ob es uns passt oder nicht.»


Perfekt durchgestaltet

Auch Michael Fünfschilling, der als Junge zweimal Hoffnung zu geben scheint, macht seine Sache gut. Neben der grossartigen Regiearbeit von Georg Darvas muss auch Valentin Köhler für sein realistisches und doch stilistisch durchdachtes Bühnenbild gelobt werden. Sophie Kellner hat für Kostüme gesorgt, welche die jeweiligen Charaktere perfekt unterstreichen. Vom Publikum gab es lang anhaltenden Applaus für eine gelungene Premiere.

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