«Dumm wäre, nichts zu tun»

Selbstverteidigungskurse sind bei Frauen gefragter denn je. Auch im Birseck ist die Nachfrage gross, bestätigt Peter Neumaier von Defensiv.ch. Aber auch Männer und Jugendliche legen vermehrt Wert darauf, sich im Ernstfall wehren zu können.

Agieren in einer Gewaltsituation: Peter Neumaier zeigt, wie man sich effektiv verteidigen kann.  Foto: Milos Mihajlovic
Agieren in einer Gewaltsituation: Peter Neumaier zeigt, wie man sich effektiv verteidigen kann. Foto: Milos Mihajlovic

Stell dir vor, du sitzt in einer Bar und zwei Männer beobachten dich. Dabei hast du ein sehr ungutes Gefühl im Bauch. Doch was tust du nun? Weglaufen, sitzenbleiben oder gar die Polizei anrufen?

Peter Neumaier sitzt in der School-yard-Bar und nippt an seinem Bier. Der Präsident von Defensiv.ch, einem Verein für effektive Selbstverteidigung, kommt gerade vom Walzwerkareal, wo er als Kursleiter selbst den bösen Mann gemimt und eine Frau belästigt hat. Mit einem Schutzhelm auf dem Kopf näherte er sich einer Teilnehmerin, aggressiv und bedrohlich. Schliesslich streckte er seine Hände grapschend nach ihr aus. Nachdem das verbale Deeskalieren keinen Erfolg brachte, schlug die Frau seine Hände zur Seite und ging zum Angriff über. In der «Rammbock»-Stellung fuhr sie mit ihren Ellbogen gegen das Gesicht des Angreifers, um anschliessend so schnell wie möglich wegzurennen. «Dumm wäre, in einer solchen Situation nichts zu tun. Beobachten und sogleich reagieren, ist das Wichtigste», sagt Neumaier. Die meisten Angriffe bahnen sich im Vorfeld an. Auch im oben geschilderten Fall in der Bar laute die Devise, die Situation zu beobachten. Hier haben sich zwei Männer ein Opfer ausgesucht. «Der Überfall erfolgt aber erst, nachdem du die Bar verlassen hast und alleine bist. Um das zu verhindern, könntest du dich einer Gruppe von anderen Barbesuchern anschliessen, mit denen du gemeinsam das Lokal verlässt. In der Zwischenzeit hast du ein Taxi bestellt, dass dich sicher nach Hause fährt», erklärt der Selbstverteidigungstrainer.

Sich auch mit Worten verteidigen

Er spricht aus Erfahrung. Der gebürtige Berliner hat selbst schon brenzlige Situationen erlebt, wo ihm eine Flasche, ein Messer und sogar auch einmal eine Pistole an den Kopf gehalten wurden. Daraus hat er sich in allen Fällen befreien können. Und zwar verbal. «Worte gehören auch zur Selbstverteidigung, was oft unterschätzt oder vergessen wird.»

In den Kursen von Neumaier gehe es nicht darum, einen Kampf zu «gewinnen», wie das in anderen Selbstverteidigungskursen oft trainiert wird. Vielmehr ginge es darum, eine brenzlige Situation rechtzeitig zu erkennen und aus ihr herauszukommen, bevor sie eskaliert. «Selbstverteidigung heisst nicht, einen Kampf zu gewinnen. Du hast dann gewonnen, wenn du gesund und sicher nach Hause kommst», sagt Neumaier.

Traumatisierte Opfer

Zu den Kursbesuchern gehören auch traumatisierte Menschen. Manche haben in der Vergangenheit Vergewaltigungen oder gar Folter erlebt. Die Opferhilfe beider Basel übt dabei eine Vermittlerrolle aus. «Die Menschen kommen in die Kurse oder oft auch ins Einzeltraining. Manche schildern sogleich, was sie erlebt haben, andere erzählen es erst viel später oder sogar nie», erklärt der frühere Betriebswirt und IT-Fachmann. Tief berührt habe ihn, wie ihm eine Person erzählt hatte, wie sie sich nach dem Kursbesuch endlich wieder auf die Strasse trauen konnte.

Peter Neumaier trainiert Kinder, Jugendliche und Erwachsene an vier verschiedenen Standorten in der Region. Am liebsten gefällt es ihm aber in Münchenstein. «Hier auf dem Walzwerkareal finde ich es einfach genial. Der Trainingsraum, den wir mit dem Swingwerk teilen, hat eine schöne Atmosphäre und ausserdem ist das ganze Areal sehr vielfältig. Da läuft immer was.»

In der Zwischenzeit sind unsere Biergläser leer. Wir zahlen und verlassen die Schoolyard-Bar. Niemand folgt uns. Das ist auch besser so.

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