Heimat ohne Gefühlsduselei
Es ist ein schwerer Weg, wenn man ohne Heimat nicht auskommt, seichte Unterhaltung aber ablehnt, und Schwärmerei ebenso. Der Liedermacher Tinu Heiniger geht diesen Weg seit vielen Jahren und verlangt dem Publikum einiges ab.

Vom Sterben sang und erzählte er viel, der Berner Liedermacher Tinu Heiniger, an seinem Konzert am Samstag in Laufen. Vom Vater, dem er in der Sterbestunde «So nimm denn meine Hände» vorsang. Von der Mutter, die nach dem Friedhofsbesuch noch vorhatte, Orangenkonfitüre zu kochen, aber nie mehr zu Hause ankam. Das mag sicher damit zusammenhängen, dass sich Tinu Heiniger mit seinen 72 Jahren öfter mit dem Tod beschäftigt, beschäftigen muss. Das hängt sicher auch damit zusammen, dass sich ein grosser Teil der 70 Zuhörenden ebenfalls in diesem Lebensabschnitt befindet.
Ja keine Gefühlsduselei
Und sicherlich hängt es auch damit zusammen, dass Tinu Heiniger seine grosse Heimatliebe nie, nie ins Überschwänglich-Kitschige abgleiten lassen will. So kommt es, dass in seinem Liebeslied an den Wald auf die Begegnung mit dem Reh und dem «Schnäggehuus» nur ein einziger Reim möglich ist: «Dört im Schnee e toti Muus».
Auch wenn er von früher singt, wie es so war im Emmental der 1950er-Jahre, als man im Dorf noch miteinander geredet hat und die Frauen Hüte mit eleganten Netzen trugen. Sobald man anfängt, in schönen Erinnerungen zu schwelgen, greift Tinu Heiniger ein. Naht- und erbarmungslos singt er dann von den Vätern, die ihre Kinder verprügelt haben, ohne dass jemand eingegriffen hätte. Noch brutaler sind seine musikalischen Kniffs. So entführt er das Publikum mit leisen Klängen ans Meer. Und lässt es auf den grossen Wellen der Melancholie schaukeln bis zum Schlussakkord. So brutal schräg ist der, dass man schlagartig vom grossen Meer weggerissen ist und wieder im Alte Schlachthuus sitzt. Samt sämtlichen erdenschweren Alltagsproblemen.
Grosse Klarinette
Wenn Tinu Heiniger erzählt, spricht er einen bodenständigen, unverfälschten Dialekt, der das Publikum in den Bann zieht. Im Saal herrschte jeweils eine grosse Stille. Als Erzähler ist er ebenso gross wie als Liedermacher. Und dennoch: Noch viel grösser ist er als Klarinettist. Da wünschte man sich manchmal trotz seiner wunderbaren Erzählkunst, er würde (lieber Tinu Heiniger, bitte verzeihen Sie mir, wenn ich das so sage) die Klappe halten und dafür die Klappen seiner Klarinette erzählen lassen.
Nur für zwei viel zu kurze Stücke setzte er nämlich die Klarinette an seine Lippen. Und verwandelte sich dabei in die Schlange, welche die Klarinette verzaubert, bis sie ihre Melodien freilässt.
Die höchste Kunstform
Nach dem allerletzten Schlussapplaus zeigte Tinu Heiniger noch eine vierte grosse Kunstrichtung: die Kunst der menschlichen Begegnung. Kaum setzte er sich an den Tisch, um seine Bücher und CDs zu signieren, füllte sich das Alte Schlachthuus mit Geschichten, die darauf warteten, erzählt zu werden.
Da war die Frau, die als Kind immer im Schaufenster des Möbelgeschäftes Heiniger sass, wenn sie mit ihrer Mutter zu Besuch war. Und Tinu Heiniger hatte diese Mutter zwar nie getroffen, doch kannte er sie dennoch, weil er sich an die langen Telefongespräche seiner eigenen Mutter erinnert und Briefe der beiden Freundinnen gelesen hat.
Da kam auch der Sohn des tauben Sportlers, von dem Tinu Heiniger in einem Buch erzählt hatte. Und der nun seinerseits von «Wänger Fredu vom Schuehlade» berichtete, der Agent bei der Geheimorganisation P26 war. Und jede Woche seiner Frau sagte, er gehe in die Beiz, aber in Tat und Wahrheit heimlich von seinem Estrich aus den Oberen funken musste.
Und es kamen noch viele andere Menschen mit ihren Geschichten, manche lustig, andere traurig, welche der Stoff des Lebens sind.