Massenauswanderung nach England

Die Autorin Simone Müller arbeitete die Geschichte von Schweizer Emigrantinnen der 30er- bis 50er-Jahre auf. Eine dieser Vergessenen ist Mina Rui, die heute im Seniorenzentrum Rosengarten lebt.

«Kauft das Buch»: (v.l.) Autorin Simone Müller, Zeitzeugin Mina Rui und ihr Sohn, der anregt, das Buch zu kaufen, sowie Zentrumsleiter Michael Rosenberg. Foto: Gaby Walther
«Kauft das Buch»: (v.l.) Autorin Simone Müller, Zeitzeugin Mina Rui und ihr Sohn, der anregt, das Buch zu kaufen, sowie Zentrumsleiter Michael Rosenberg. Foto: Gaby Walther

Mina Rui ist 99 Jahre alt und lebt heute im Seniorenzentrum Rosengarten in Laufen. Sie kann auf ein langes Leben von Freude, aber auch Verlust zurückblicken. Vier Monate haben sie besonders geprägt, denn mit 20 Jahren verbrachte sie eine kurze Zeit als Dienstmädchen in England. Sie gehörte zu jenen jungen Frauen, welche in der Zwischenkriegszeit zu Hunderten nach England geströmt waren, um zu arbeiten und Englisch zu lernen. In den späten Vierziger- und Fünfzigerjahren waren es sogar Tausende. Eine Thurgauer Zeitung schrieb damals: «Alljährlich im Frühjahr schwärmen unsere jungen Mädchen nach England.» Diesen Titel hat die Autorin Simone Müller für ihr Buch übernommen. In elf Porträts erweckt sie die Geschichte jener Frauen wieder zum Leben, so auch jene von Mina Rui. «Damals hatten die Zeitungen intensiv über diesen Massenexodus berichtet. Doch heute ist diese Frauenemigrations- geschichte in Vergessenheit geraten. Nichts ist darüber dokumentiert», erzählt die Autorin an der Lesung vom letzten Montag im Seniorenzentrum.

Mina Ruis Aufenthalt in England war kurz. Mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurden 900 Schweizerinnen in einem aufwenigen Kollektivtransport zurück in ihre Heimat gebracht. Im Schweizerischen Bundesarchiv in Bern fand die Autorin umfangreiches Aktenmaterial und arbeitet dieses vergessene Kapitel der Geschichte auf. Mina Rui hat als einzige Zeitzeugin diese Geschehnisse schriftlich zu Protokoll gebracht. Mit 90 Jahren hat sie ihre Lebensgeschichte aufgeschrieben. Überhaupt schreibt die rüstige Seniorin viel und pflegt einige Brieffreundschaften, so auch zu Lehrer und Landrat Linard Candreia. Er hatte den Kontakt zu Simone Müller geknüpft. Im öffentlichen Gespräch beantwortete Mina Rui die Fragen von Candreia. Nach der gefährlichen Rückreise aus England in die Schweiz wohnte sie in Laufen und servierte viele Jahre im Restaurant Ochsen auf dem Huggerwald. «Die einzige Stelle, die in der Schweiz schön war.» Gerechtigkeit ist etwas, das für Mina Rui einen hohen Stellenwert hat. Viel gelernt habe sie beim Lesen von Jeremias Gotthelf. Der Schweizer Schriftsteller habe sich stark für die Gerechtigkeit eingesetzt. Auf die Frage, was sie mit ihrem grossen Erfahrungsschatz an die jungen Leute mitgeben wolle, kehrte die fast 100-Jährige die Frage geschickt um und erklärte, dass sie viel von den jungen Leuten gelernt habe. Diese würden sich heute stärker wehren, als sie sich früher getraut hätten.

Am Ende der interessanten Veranstaltung legte der Sohn von Mina Rui den zahlreich Erschienenen ans Herz, das Buch unbedingt zu kaufen. Es beinhalte wichtige Zeitgeschichte, die fast in Vergessenheit geraten sei.

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