Ein humorvoll-selbstkritischer Jahresauftakt

Der Neujahrsapéro stand heuer ganz im Zeichen des 850-Jahr-Jubiläums der Gemeinde.

Auf der Suche nach Arbeit: Tauner Joggi (links) unterbricht die Neujahrsansprache des Gemeindepräsidenten Melchior Buchs jäh. Foto: Lisa Bahr

Zum ersten Mal erwähnt wird die Gemeinde in einer Urkunde von 1174. 2024 feiert Reinach deshalb die vergangenen 850 Jahre seiner Entstehungsgeschichte. Gross, bunt und vielfältig soll es sein, dieses Festjahr. Der Neujahrsapéro fand deshalb in diesem Jahr auch in der Weiermatthalle statt und nicht wie üblich im Gemeindehaus.

Den Auftakt machte der Musikverein Konkordia Reinach, der das eigens für das Jubiläum komponierte Stück «Reinach Jubilee» uraufführte. Geschrieben wurde das Stück vom jungen Komponisten Gau­thier Dupertuis aus dem Wallis. Der 26-jährige Musiker studierte Musikwissenschaft und Philosophie und schloss gleichzeitig ein Studium am Konservatorium in Freiburg ab. 2022 gewann er den internationalen Kompositionswettbewerb La Bacchetta d’Oro.

Die traditionelle Neujahrsansprache des Gemeindepräsidenten setzte sich in diesem Jahr mit der Geschichte, dem Jetzt und der Zukunft Reinachs auseinander. Buchs reiste ins Jahr 1974 zurück, als Reinach das letzte Jubiläum gefeiert hatte. «Auf der Weltbühne hat es zwei starke Parallelen zum heutigen Jahr gegeben: Im Nahen Osten haben die Nachwirkungen des Jom-Kippur-Kriegs von 1973 die Politik bestimmt. Ebenso ist 1974 durch die Nachwirkungen der Ölkrise bestimmt gewesen.» Reinach beschäftigte in jener Zeit das starke Bevölkerungswachstum. Kurz: Es wurde gebaut, wo nur irgendwie möglich. Seit 1965, als Reinach offiziell zur Stadt wurde, sei die Gemeinde auf Identitätssuche. «Die Frage, ob Reinach eine Stadt ist oder nicht, hat Reinach seit 1965 lange begleitet, und manchmal habe ich das Gefühl, dass die Frage auch heute noch nicht so ganz geklärt scheint.» Buchs meinte, Reinach sei heute eine moderne, aufgeschlossene Stadt. «Zusammen mit Allschwil trägt Reinach am meisten zur Wirtschafts- und Finanzkraft des Kantons bei. Seit dem letzten Jubiläum 1974 hat sich Reinach sehr positiv weiterentwickelt.»

Schliesslich ging Buchs noch auf die weltweiten kriegerischen Auseinandersetzungen ein und erinnerte daran, dass auch die Schweiz von Kriegen nicht immer verschont geblieben war. «Vom ausgehenden Mittelalter bis ins 18. Jahrhundert ist Reinach wiederholt Opfer von kriegerischen Ereignissen gewesen, von Plünderungen und Verwüstungen bei Feldzügen fremder Mächte.»

Von Tagelöhnern und von Analphabeten im Gemeinderat

Als Buchs gerade bei der Schlacht bei St. Jakob 1444 angekommen war, wurde er jäh vom Tauner Joggi unterbrochen. Er sei ein Tagelöhner und suche nach Arbeit, sagte der Zeitreisende, und Buchs versuchte sich erfolglos gegen die Störung zu wehren.

Als seine Rede etwas später gleich noch einmal, dieses Mal von Historikerin Alice Staub, die nach Lichtblicken in der Reinacher Geschichte suchte, unterbrochen wurde, gab Buchs auf. «Heutzutage muss man mit allem rechnen. Ich gebe nun auf, ich trete ja sowieso zurück», sagte der Gemeindepräsident selbstironisch.

Selbstverständlich waren Tauners und Staubs Einlagen geplant. Sie waren Teil eines Theaterstücks, in dem die beiden Schauspieler Danny Wehrmüller und Dominique Lüdi humorvoll-kritisch durch die Geschichte Reinachs reisten. Da wurden zum Beispiel die Gemeinderäte aus dem 19. Jahrhundert durch «den Kakao gezogen» – 1831 fand man heraus, dass keiner der Herren richtig lesen oder schreiben konnte. Die Stadt Basel ordnete daraufhin an, dass das Gremium auf fünf Räte vergrössert werden solle – vielleicht sei ja dann einer dabei, der es könne. In unterschiedlichen Rollen zeigten Wehrmüller und Lüdi den Graben zwischen Stadt und Land auf, erzählten witzige Anekdoten und erklärten historische Ereignisse, zum Beispiel die Birsbegradigung. Reinach wollte die Birs mäandrieren lassen, die Weiden, die in der Reinacher Heide wuchsen, wurden für das Korbflechten verwendet. Der Kanton zog mit der Gemeinde vor Gericht, und letztere verlor. Das Ganze kam Reinach so teuer zu stehen, dass es grosse Teile des Birs­gebietes an die Familie Alioth in Arlesheim verkaufen musste. Erst ist den 1970er-Jahren konnten die Gebiete zurückgekauft werden.

Historikerin Alice Staub meinte: «Es ist gar nicht so leicht, die Glanzstunden zu finden bei all den Pleiten, Pech und Pannen!» Aber doch: Reinach habe deutlich besseren Wein als Arlesheim, meinte ein weiterer Protagonist.

Nach rund 90 Minuten Programm wurden die Anwesenden zum Apéro geladen, wo die Alteingesessenen über die Geschichte weiter fachsimpeln konnten.

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