Urs Hintermann: «Wir wachsen nicht einfach aus Spass»

Bei den diesjährigen Reinacher Gesprächen vom vergangenen Freitag gingen die Referenten dem Thema Wachstum nach. Fünf Fragen an Gemeindepräsident Urs Hintermann.

Mit Wachstum Veränderungen möglich machen: Gemeindepräsident Urs Hintermann. Foto: ZVG
Mit Wachstum Veränderungen möglich machen: Gemeindepräsident Urs Hintermann. Foto: ZVG

Axel Mannigel

Wochenblatt: Der Tagungstitel ist Programm: Bringt Wachstum Unwohlstand? Hat die Tagung eine Antwort auf diese Frage gegeben?
Urs Hintermann: (lacht) Wir wählen immer Themen aus, bei denen es keine einfache oder eindeutige Antwort gibt. Es kommt also drauf an: Wenn Sie in einer armen Region leben, kann Wachstum natürlich sehr wichtig und auch etwas sehr Gutes sein, was dazu beiträgt, dass Wohlstand überhaupt erst generiert wird. Umgekehrt kann in einer Gesellschaft, in der bereits ein hoher Wohlstand herrscht, Wachstum fragwürdiger sein, weil er mit unverhältnismässigem Ressourcenverbrauch verbunden ist und es nur noch um Luxus geht. Ausserdem stellt sich die Frage: Um was für Wachstum handelt es sich und in welchen Bereichen findet er statt?

Auch ein Wachstum der Kosten ist sicher nicht unproblematisch.
Urs Hintermann: Das ist der Aspekt der öffentlichen Hand, genau. Es kann in einer Gemeinde Sinn machen, dass sie etwas wächst, sodass beispielsweise die Infrastruktur besser ausgenutzt wird und dass man sich eine Verwaltung, ein Schulhaus oder dergleichen leisten kann. Wachsen kann also absolut sinnvoll sein. Aber es gibt auch Momente, in denen schon wenig Wachstum zu massiven Mehrkosten führen kann. Etwa wenn als Folge davon eine zusätzliche Klasse benötigt und so eventuell sogar ein neues Schulhaus gebraucht wird. Auch da kommt es also sehr auf die Umstände an. Wachstum ist weder einfach gut noch einfach schlecht.

Welche Herausforderungen gibt es denn in Reinach bezüglich Wachstum?
Urs Hintermann: Das erklärte Ziel der Gemeinde ist es, die Bevölkerungszahl zu halten; eine schrumpfende Einwohnerzahl würde mehr Probleme als Vorteile bringen. Da aber aus demografischen und Wohlstandsgründen der Wohnflächenbedarf pro Einwohner steigt, müssen wir zusätzlichen Wohnraum bereitstellen, auch wenn die Gemeinde nicht wachsen will. Wachstum, in diesem Fall beim Wohnraum, muss also wohlüberlegt und begründet sein.

Das heisst, Reinach wächst?
Urs Hintermann: Mit Blick auf die Einwohnerzahl kaum, aber bezüglich Wohnfläche schon. Wir versuchen aber auch einen Beitrag zu leisten, damit der bestehende Wohnraum besser genutzt wird. Wir haben sehr viele Einfamilienhäuser, die eigentlich sehr viel Wohnraum für Familien bieten könnten. Aber dort wohnen häufig nur noch ein oder zwei Personen. Wenn man diesen Wohnraum für Familien frei bekommen möchte, dann muss man Ersatz anbieten. Ältere Leute möchten oft lieber im Zentrum wohnen, wo sie leicht einkaufen oder den öV benutzen können. Wir initiieren und fördern deshalb Wohnüberbauungen im Zentrum. Manchmal muss man Wachstum fördern, damit Veränderungen möglich und Ressourcen, in dem Fall Wohnraum, frei werden.

Pionier oder Bremser – wo sieht sich Reinach beim ökologisch-sozialen Wachstum?
Urs Hintermann: Wir engagieren uns stark und bemühen uns, wo wir können. Etwa im Bereich Wohnraum, um bei dem Beispiel zu bleiben: Um zusätzlichen Wohnraum zu generieren, erweitern wir nicht einfach die Bauzonen, sondern wir verdichten nach innen. Ausserdem schauen wir stark, dass wir auch Projekte zusammen mit Wohnbaugenossenschaften umsetzen können, die Familien- oder Alterswohnungen fördern. Oder: Auf verschiedenen Ebenen suchen wir sehr intensiv die Zusammenarbeit mit den anderen Birsstadt-Gemeinden. Nicht jede Gemeinde muss alles anbieten, sondern es ist wichtig, dass wir untereinander koordinieren. Bezüglich Zusammenarbeit befindet sich die Birsstadt ebenso wie die Region Lausanne in einer Pionierrolle. Im Energiebereich ist es das Gleiche: Reinach ist Energiestadt und soll das auch bleiben. Da werden wir weiter investieren.

Die Reinacher Gespräche finden seit 2004 statt und beleuchten jedes Jahr aktuelle Themen aus einer anderen Perspektive. Sie leisten damit seit vielen Jahren einen Beitrag zur Lösung aktueller Probleme in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft. Sämtliche Referate und die Tagungsunterlagen zum Thema «Bringt Wachstum Unwohlstand?» finden Sie unter <link http: www.reinach-bl.ch de aktuell news meldungen-gemeinde reinacher-gespraeche-news.php external-link-new-window>www.reinach-bl.ch/de/aktuell/news/meldungen-gemeinde/Reinacher-Gespraeche-News.php

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