Einer dieser Abende

Nichts konnte Michael Patrick Kelly am diesjährigen Summerstage aufhalten – weder Absperrgitter noch Kelly-Family-Nostalgiker.

«Are you ready for some Rock’n’Roll?», fragt Michael Patrick Kelly bei seinem Auftritt im Park im Grünen – und legt erst richtig los, inklusive Stage Diving und Erklimmen des nahen Hügels.  Foto: ZVG/AZ Medien
«Are you ready for some Rock’n’Roll?», fragt Michael Patrick Kelly bei seinem Auftritt im Park im Grünen – und legt erst richtig los, inklusive Stage Diving und Erklimmen des nahen Hügels. Foto: ZVG/AZ Medien

Eigentlich dachte man, das sei der letzte Song, ein brachialer Schlussakkord vielleicht, allenfalls auch noch einmal das ikonische Bild des breitbeinigen Rockers mit der Mikrofonstange im Gegenlicht, Applaus, das Dankeschön, Abgang. Doch Michael Patrick Kelly, der Familienmusiker, der Mönch wurde und nun Europas Bühnen in Lederjacke rockt, hatte längst nicht genug. Denn es war einer dieser Abende.

Freitagabend im Park im Grünen in Münchenstein, erster von zwei Abenden Summerstage, grösstes Open-Air-Festival der Region. Gerade hatte Kaled, der Bayer mit nordafrikanischen Wurzeln, mit seinem Bayrischsein kokettiert und damit, zurzeit wohl der einzige beliebte Bayer zu sein. Überhaupt fiel er mehr politisch denn musikalisch auf. Während nämlich sein Gesang vom Bass praktisch weggedröhnt wurde, war sein abschliessendes «und kommt bald in die EU» deutlich zu verstehen. Der ohnehin verhaltene Applaus verhallte abrupt.

Dann war Ben Zucker dran, der 34-jährige Deutsche mit der Stimme eines 60-jährigen Whiskytrinkers. Sein Sprung auf die Bühne, dazu sein Titel «Was für eine geile Zeit» aus voller Kehle, waren der eigentliche Startschuss zur diesjährigen Summerstage. Doch auch seine 50 Minuten waren lediglich Vorgeplänkel, waren ein Aufwärmen, ein feierabendlicher Schwatz mit Hintergrundmusik.


Die Kotzeimer stehen bereit

Vielleicht sollte genau hier gesagt sein, dass die Summerstage-Ausgabe 2018 ein gemütliches und trotz der allgegenwärtigen Sponsorenlogos fast familiäres Open-Air-Festival war. Das lag an nahbaren Bands wie Baba Shrimps, Hecht, Gotthard oder den Boxitos. Das lag am Publikum, das nicht kommt, um abzustürzen, sondern zwecks Genuss – barfuss, bei einem Bier, in einer Cannabiswolke. Und das lag auch an Details wie jenen Volunteers, die unentwegt die Reihen abschritten, um Müll zu sammeln.

Zurück zum Headliner, zu Michael Patrick «Paddy» Kelly. Der weiss: Beim Gedanken an seinen alten Arbeitgeber dreht sich beim einen oder anderen der Magen um. Darum warnte er das Publikum vor: die Kotzeimer befänden sich rechts von der Bühne, und links die Sanitäter, falls nun jemand unbedingt umfallen müsste. Das waren seine Worte, bevor er die Stromgitarre zur Seite legte und «An Angel» anstimmte, einen jener Überhits der Kelly Family. Und es geht ein Schmachten durchs Publikum, ein Kreischen, Smartphones werden gezückt, man filmt und knipst und rempelt zwecks besserer Perspektive, und das Mädchen mit dem verwaschenen Fan-T-Shirt, das die Familienband unmöglich von damals lieben kann, hüpft jubelnd auf und ab.
Doch als wollte Kelly dem alten Zopf den endgültigen Gnadenstoss geben, brach er nach zwei Strophen ab, holte seine Band zurück auf die Bühne, fragte: «Are you ready for some Rock ’n’ Roll?» und legte erst richtig los – inklusive Stage Diving. Denn es sei, erklärte er, bevor er sich auf den Händen über die Köpfe des Publikums tragen liess, einer dieser seltenen Abende, die förmlich nach Tuchfühlung von Sänger und Fans schrien. Das Publikum war zufrieden, der Applaus riss kaum ab.


Rennt den Hügel hoch
Doch Michael Patrick Kelly wollte mehr. So tauchte er plötzlich inmitten der Masse wieder auf, den Hügel vor der Bühne hochrennend, einen Sonnenschirm in den Nachthimmel reckend, «hier bin ich!» rufend, zurück auf die Bühne jagend. Und die, die für ihn gekommen waren, wussten nicht so recht, ob sie nun zurückweichen oder etwas von der Aura und dem Schweiss des Stars abgreifen sollten.

Das alles führte dazu, dass der Funke, der längst übergesprungen war, nun lichterloh loderte. Publikum und Musiker waren in jenen Momenten eins, Bühne und Absperrungen Makulatur. Da war die aufdringliche Dame vom Stand der Versicherungsberatungsgesellschaft vergessen und jene Zuhörer erfolgreich ignoriert, die das Konzert durch den Bildschirm ihres Smartphones verfolgten, als wäre die Erinnerung in Retina realer als jene im Kopf. Doch gerade auch sie werden sagen: «Das war einer jener Abende!»

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