Schaulager zeigt Nauman ganz gross

«Disappearing Acts» von Bruce Nauman heisst die grosse Retrospektive, die letzten Freitag eröffnet wurde. Das «Wochenblatt» organisiert eine Führung.

Existenzielle Fragestellungen an die Grundstrukturen menschlichen Lebens: Bruce Nauman arbeitet zeitlebens daran. «Model for a Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care» (1984). Detailfoto. Fotos: Edmondo Savoldelli

Existenzielle Fragestellungen an die Grundstrukturen menschlichen Lebens: Bruce Nauman arbeitet zeitlebens daran. «Model for a Room with My Soul Left Out, Room That Does Not Care» (1984). Detailfoto. Fotos: Edmondo Savoldelli

Kurzer Auftritt: Bruce Nauman.

Kurzer Auftritt: Bruce Nauman.

Sprachspiel mit Violins/Violence:  Nauman hat viel mit Neonröhren gearbeitet.

Sprachspiel mit Violins/Violence: Nauman hat viel mit Neonröhren gearbeitet.

Kunstmekka Münchenstein? Tönt komisch, ist aber so. Und einmal mehr sind Superlative angesagt. Das Schaulager der Laurenz-Stiftung hat zusammen mit dem MoMA, dem Museum of Modern Art in New York, eine einzigartige, umfassende Bruce-Nauman-Retrospektive realisiert, die erste seit 25 Jahren. Es werden rund 170 Werke aus allen Schaffensperioden des mittlerweile 76-jährigen Künstlers grob chronologisch gezeigt. Maja Oeri, die Präsidentin des Schaulagers, bezeichnet Nauman als Ausnahmeerscheinung, die, unberechenbar, stets neue, unerwartete Wege gehe und sich dadurch auszeichne, dass sie sich weder auf einen Stil noch auf ein typisches Medium festlegen lasse. Es sei vorneweg gesagt: Kunstliebhaber sollten sich diese Ausstellung nicht entgehen lassen. Es wird lange keine ebenbürtige Gelegenheit mehr geben, diesem wegweisenden Künstler so nahe zu kommen. 

Mit «Disappearing Acts» setzt das Schaulager nach der Baselitz-Ausstellung bei Beyeler in Riehen einen weiteren, wenn nicht den Höhepunkt im Basler Kunst-Frühling. «Verschwinden, sich entziehen», was kann mit diesem Ausstellungs-Motto gemeint sein, angesichts der Fülle und Vielseitigkeit von Naumans Schaffen, dem bei einem kurzen Besuch kaum beizukommen ist? Ist denn nicht das Sichzeigen und das Erscheinen der Sinn von bildender Kunst? Ein Beispiel dazu gab der Künstler bei der Pressekonferenz gleich selbst. Durch eine verschwiegene Seitentür im Auditorium erschien Nauman vor den Kameras, stellte sich kurz ans Rednerpult und verschwand wieder ohne weitere Bemerkung.

Ähnliches mag auch beim Anschauen von Naumans Werken geschehen: Hat man zunächst einen deutlichen Eindruck von der sinnlichen Präsenz des Werks, von der Experimentierlust in den verschiedensten Materialien – Zeichnungen, Fotografien, Videos, Skulpturen, Performances, raumgreifende Installationen, Druckgrafik, Neon- und Soundarbeiten –, so kann einem bei einem zweiten Blick der Sinn der Sache, die Bedeutungsebene, entschwinden und der rote Faden, der sich durch seine Arbeiten zieht, im Labyrinth ihrer Vielfältigkeit unauffindbar sein.

Erforscher seiner selbst

Bruce Nauman geht in seinem Werk den Grundfragen des Seins nach: Was ist der Mensch, was bin ich als Künstler, was ist der Körper, der Raum, die Zeit, die Sprache, die Sexualität? Und er postuliert schon 1967 in einer Neonarbeit: «The True Artist Helps the World by Revealing Mystic Truths» (Der Künstler hilft der Welt, in dem er deren mystische Wahrheiten offenbart). Paul Klee hatte es so gesagt: «Der Künstler gibt nicht das Sichtbare wieder, er macht sichtbar». Aber bei Nauman kommt der Spruch in grellen Neonfarben daher als leuchtende, poppige Werbebotschaft mit therapeutischem Einschlag. Meint er das wirklich ernst, oder versteckt sich dahinter ein grosser Zweifler? «Make me think me», steht auf einer Papierarbeit von 1993. «Mach mich, denke mich.» An wen geht die Aufforderung?

Mehrdeutigkeit als System

Viele von Naumans Arbeiten zeigen diese Zwei- und Mehrdeutigkeit, aber auch den Spieler dahinter. «Wax Impressions of the Knees of Five Famous Artists» von 1966 zum Beispiel ist in Wirklichkeit nicht aus Wachs, sondern aus Fiberglas und Polyesterharz und zeigt fünf Abdrücke von Naumans eigenen Knien.

Das «Model for a Room in Perspective» aus demselben Jahr spielt mit der Raumwahrnehmung und lässt einen geometrischen Körper je nach gedanklicher Projektion von aussen oder innen erscheinen. Eine grosse Brunnenskulptur, «Three Heads Fountains», assoziiert grauenhaft geschundene Körper, und zugleich wird eine poetische Stimmung und das Bild immerwährenden Fliessens von Emotionen und Gedanken evoziert.

Und was macht Bruce Nauman heute? Eine Reihe seiner letzten Videos werden prominent präsentiert. Es geht dabei um den Kontrapost, diese klassische Modellpose, bei der Stand- und Spielbein eine Rolle spielen. Die Bilder werden zerschnitten, invertiert, die Fragmente in Rastern neu zusammengesetzt, und es stellt sich die Frage: Bin ich ein Ganzes, bin ich zwei oder gar mehrere?

Zumindest eine Audio-Arbeit wird der Besucher jedoch als eindeutig erleben und die Theorie des Sprachspiels, das Nauman in der Philosophie Ludwig Wittgensteins kennen gelernt hat, erhält hier seine volle Wucht des Faktischen. «Get out of my mind, get out of my room», flüstert, kreischt, stöhnt und bettelt Naumans Stimme in einem kleinen, leeren Raum. Das wirkt so magisch, dass man danach selbst beginnt, diese zwanghafte Schlaufe aus dem eigenen Kopf zu scheuchen.

Bruce Nauman: Disappearing Acts. Ausstellung im Schaulager, Ruchfeldstrasse 19, Münchenstein. Bis 26. August 2018.

Öffnungszeiten: Di–So 10–18 Uhr. Weitere Infos zu Öffnungszeiten während der Festtage und der ART Basel sowie das ganze begleitende Veranstaltungsprogramm auf der Website <link http: www.schaulager.org>www.schaulager.org. Das Ticket für drei Eintritte und einen zusätzlichen Eintritt ins Kunstmuseum Basel kostet CHF 22.–, reduziert CHF 15.–. Zur Ausstellung sind ein umfangreicher Katalog mit vielen neuen Texten aus der Nauman-Forschung sowie ein kleinerer Reader mit Texten zu einzelnen Themen in Naumans Arbeit erschienen.

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