EU ist «lernende Institution»

Angeregt diskutierten die Münchensteiner Gymnasiasten mit der österreichischen Botschafterin über das Verhältnis der Schweiz zur EU und ihre eigene Zukunft in Europa.

Diskutierten über die Position der Schweiz und der jungen Schweizer in Europa (v. l.): Konrektor Reinhard Straumann, Österreichs Botschafterin Ursula Plassnik, Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter und der Historiker Georg Kreis.   Foto: Bor
Diskutierten über die Position der Schweiz und der jungen Schweizer in Europa (v. l.): Konrektor Reinhard Straumann, Österreichs Botschafterin Ursula Plassnik, Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter und der Historiker Georg Kreis. Foto: Boris Burkhardt

Übernehmen Sie dort Verantwortung, wo Ihre Leidenschaften sind», riet die ehemalige österreichische Aussenministerin und jetzige Botschafterin in der Schweiz, Ursula Plassnik, den Münchensteiner Gymnasiasten, um die Zukunft Europas zu gestalten: «Lassen Sie Sich nichts vormachen. Engagieren Sie Sich in der Politik, aber auch in NGO, Familie und Vereinen.» Die Diplomatin war der Gaststar der Podiumsdiskussion in der Aula des Gymnasiums am Donnerstag vergangener Woche. Thema war der «Sonderfall Schweiz» und ihr Verhältnis zu Europa und zur EU. Als «Schweizer Gegengewicht» diskutierten der Historiker Georg Kreis, ehemaliger Direktor des Europa-Instituts der Uni Basel, und die Baselbieter CVP-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter, Vertreterin der Schweiz beim Europarat.


Stärken und Schwächen

Um die Schwächen der EU wurde am hartnäckigsten diskutiert. So verbat sich Plassnik die Frage eines Gymnasiasten, wie die EU denn funktionieren könne, wenn einzelne Staaten wie Deutschland und Frankreich übermächtig seien. «Ich warne davor zu sagen, dass in der EU keine Demokratie herrsche», sagt Plassnik. Sie bezeichnete die EU mehrfach als «lernende Institution», von der man im jungen Alter von 60 Jahren noch keine Perfektion erwarten dürfe: «Unkompliziert sind Systeme nur, wenn sie Diktaturen sind.»

Schneider-Schneiter verteidigte trotz der Gefahr des Populismus das Schweizer System der direkten Demokratie als ideal. Plassnik wehrte sich hier gegen eine «Arroganz, die mir nicht besonders gefällt»: Die anderen Länder Europas seien nicht undemokratisch, nur weil sie keine direkte Demokratie in spezieller Schweizer Form hätten. Kreis hingegen argumentierte, dass die Schweiz zum Beispiel mit dem Frauenwahlrecht lange Zeit eine «gute Sache aus dem Ausland nicht übernahm, weil sie ein Sonderfall bleiben wollte».


Fluchtproblematik – ein grosses Thema


Ein weiteres Thema war der Umgang mit den Flüchtlingen. Die ursprüngliche Idee der EU, dass die Union Probleme löse, die die Nationalstaaten nicht einzeln lösen könnten, sei in der Flüchtlingskrise gescheitert, sagte ein Schüler. Plassnik hingegen fand den Umgang der EU mit den Flüchtlingen «sehr verantwortungsvoll» und sagte: «Die Dublin-Regelungen waren gut. Beim Ansturm von Millionen Menschen hat sich aber gezeigt, dass sie nicht ausreichen.»

Vielleicht etwas zu technisch wurde die Diskussion, als der Lehrer Reinhard Blecher die Grundprobleme der EU auf den Euro zurückführte: Er sei 2002 eingeführt worden, obwohl viele Länder die Kriterien nicht erfüllt hätten. Das schade heute massiv den Sparern und Rentnern. Plassnik betonte ihre «deutlich andere Meinung»: Der Euro sei eine politische Entscheidung gewesen. Sie erlebe die Unzufriedenheit mit der EU nicht so, wie oft dargestellt: Durch den Brexit als abschreckendes Beispiel liege die Zustimmung zur Union in Österreich wieder bei rund zwei Dritteln wie zur Zeit des Beitritts 1995.

Die Podiumsdiskussion wurde wie immer am Gymnasium Münchenstein geleitet und organisiert vom Geschichtslehrer und Konrektor Reinhard Straumann. Der Besuch der österreichischen Botschafterin ist dabei einer Initiative der EU-Mission in Bern zu verdanken, die die Begegnungen von Gymnasiasten und EU-Botschaftern organisiert, «um dem Europa-Bewusstsein der jungen Menschen in der Schweiz Impulse zu geben», wie Straumann erklärt. In Münchenstein waren bereits die Botschafter von Deutschland und Bulgarien zu Gast.

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